BEFORE SUNSET

Späte Liebe
Richard Linklater greift Before Sunrise wieder auf

Schön, dass es das noch gibt: Filme, in denen geredet wird und sich Menschen mit Worten langsam umgarnen. Before Sunset ist ein Walk-and-Talk-Movie besonderer Güte, charmant, betörend, ein Glücklichmacher im Sommerkinoprogramm.
Neun Jahre ist es her, da scharwenzelten in Richard Linklaters Before Sunrise Julie Delpy und Ethan Hawke in der Blüte ihrer Jugend durch das sommerliche Wien. Die Französin und der Amerikaner hatten nur einen Tag und eine Nacht, um sich kennen und lieben zu lernen. Sie begegneten sich mit jener Offenheit, die man nur entwickelt, wenn man jung und weit weg von zu Hause ist. Offen blieb auch das Ende. Ein Wiedersehen ein halbes Jahr später wurde in Aussicht gestellt. Die Ungewissheit, ob dieses Rendezvous zustande kommt, gab dem Film einen romantischen Kick, der weit über den Abspann hinaus wirkte. Nun treffen sich die beiden wieder, wunderbar knappe 88 Kinominuten lang.
Jesse (Ethan Hawke) ist mittlerweile ein bekannter Schriftsteller, verheiratet und Vater mit allem drum und dran. Dass ihm Celine (Julie Delpy) nie aus dem Kopf gegangen ist, erkennt man unschwer daran, dass sein neuester Roman eben diesen einen Tag in Wien vor neun Jahren beschreibt. Bei seiner letzten Buchlesung in Paris steht sie dann plötzlich hinten in der Ecke. Eineinhalb Stunden bleiben nur, dann geht der Flieger und der Film ist zu Ende. Zeit genug für einen kleinen Spaziergang, einen schnellen Kaffee und eine kurze Bootsfahrt auf der Seine. Und Platz genug für Dialoge, die so leicht und präzise daher kommen, wie man es im Kino nur noch selten erleben kann. Natürlich gilt es sich zu erinnern, vom neuen Leben zu erzählen, die Zeitlücke zu füllen und die neu aufkommenden Gefühle zu verstecken. Die Offenheit und Naivität der Erstbegegnung hat sich in Selbstironie und soliden Sarkasmus verwandelt.
Wer dahinter nur ein besseres Hörspiel vermutet, muss sich Julie Delpys Augen vorstellen, die etwas ganz anderes erzählen als ihr Mund. Oder Ethan Hawks Stirnrunzeln, das jeden Satz subversiv unterwandert. Beide haben übrigens entscheidend am Drehbuch mitgearbeitet, was die sichtbare Spielfreude erklärt, mit der sie zu Werke gehen. Leicht plätschert die Unterhaltung entlang scheinbarer Belanglosigkeiten und kommt immer wieder messerscharf auf den Punkt, wenn von eigenen Illusionen und den verblassenden Idealen der Liebe die Rede ist. Herzerfrischend lebenswahr, humorvoll, charmant und melancholisch ist dieser Film - und spannend bis zu allerletzten Minute.

Martin Schwickert
USA 2004 R: Richard Linklater B: Richard Linklater, Ethan Hawke, Julie Delpy K: Lee Daniel D: Ethan Hawke, Julie Delpy