»STRAIGHT STORY«

Gaanz ruhig

Durch die USA mit dem Trecker

David Lynch enttäuscht die Erwartungen seiner Fans souverän und nimmt sich das, was heute am teuersten ist: Zeit. In gemächlichen Tempo tuckert der Film mit dem 74jährigen Alvin Straight durch die hügelige Landschaft des Mittleren Westens - ohne dass hinter den Bäumen messerwetzende Psychopathen lauern. Alvin wohnt mit seiner behinderten Tochter Rose (Sissy Spacek) in einem verschlafenen Nest irgendwo in Iowa. Nach einem Sturz in der Küche warnt der Arzt den sturen alten Mann vor ernsthaften gesundheitlichen Problemen. Wenig später erfährt Alvin, dass sein Bruder, mit dem er seit zehn Jahren im Streit lebt, einen Schlaganfall erlitten hat. Alvin beschließt ihn im Nachbarstaat Wisconsin zu besuchen. 300 Meilen sind in den USA keine nennenswerte Entfernung. Aber Alvin hat weder Auto noch Führerschein, und so macht er sich mit einem Minitraktor, der bisher nur als Rasenmäher genutzt wurde, auf den Weg. In gemächlichem Schritt-Tempo bewegt sich das Roadmovie durch die Sommerlandschaft. Eine Ausreißerin, ein Trupp von Radrennsportlern, eine Frau, die auf der Landstraße jeden Tag ein Reh anfährt, und ein paar gutmütige Kleinstädter kreuzen Alvins Weg. Die Dialoge sind sparsam, aber markant. Wenn der Alte etwas sagt, hat das Hand und Fuß. Punktuell flackern Lebenserfahrung und Altersweisheit auf. Oft beobachtet die Kamera nur: die komplizierten Bewegungsabläufe, mit denen sich der alte Herr trotz Hüftschaden fortbewegt, die Geschicklichkeit, mit der er Feuerholz einsammelt, oder einfach nur das zufriedene Funkeln in den Augen, wenn er Zigarre rauchend in den Sommerregen schaut. Richard Farnsworth, der immerhin schon 1956 als Streitwagenlenker in Die zehn Gebote vor der Kamera stand, ist jede dieser langgezogenen Einstellungen wert.
Straight Story wurde von Disney produziert und als erster Lynch-Film in den USA für alle Altersgruppen freigegeben. Nach dem kommerziellen Misserfolg von Lost Highway ist Straight Story sicherlich auch als finanzielles Sanierungsprojekt angelegt. Mit großer Selbstverständlichkeit bedient sich David Lynch uramerikanischer Filmmythen: weite Landschaftstotalen über satte Kornfelder, Marlboro-Romantik am Lagerfeuer, und immer wieder die Familie, die als höchstes Gut gefeiert wird. Wo andere Regisseure den Schmalztopf öffnen, verlässt sich Lynch lieber auf trockenen Humor, genaue Beobachtungsgabe und die genussvolle Entdeckung der Langsamkeit.

Martin Schwickert