STAY

Neben der Spur
Ein Film, den man im Kopf neu zusammen setzen muss

Marc Fosters Stay ist einer der wenigen Filme, für die man sich nach Verlassen des Kinos gleich wieder an der Kasse anstellen möchte. Neunzig Minuten lang wird eine Geschichte erzählt, und je länger man sie verfolgt, um so weniger scheint man sie zu verstehen. Zweifel werden ausgestreut. Figuren verschwinden aus dem Bild. Einstellungen und Motive glaubt man so oder so ähnlich schon einmal an anderer Stelle gesehen zu haben. Und am Schluss kommt eine Wendung, die die Wahrnehmungsebenen auf den Kopf stellt, alles ganz neu erklärt und trotzdem nicht vollkommen auflöst. Stay ist ein Film, der die Neugier weckt und beständig nährt und einer, der nur über die Augen verstanden werden kann.
Vielleicht liegt das alles nur daran, dass die Hauptfigur ein wenig verrückt ist, nicht wahnsinnig, nur eben ganz schön neben der Spur. Als der Kunststudent Henry (Ryan Gosling) seine Psychologin aufsuchen will, sitzt in ihrem Büro ein anderer. Sam (Ewan McGregor) springt für die erkrankte Kollegin ein, aber nach einem kurzen Disput verlässt der Patient die Praxis. Ein paar Tage später taucht er wieder auf und verkündet, dass er sich am Samstag um Mitternacht umbringen wird.
Dann folgt der Film dem Psychologen, der mit der Künstlerin Lila (Naomi Watts) zusammenlebt, die ebenfalls einmal seine Patientin war. Sam versucht aus Henry schlau zu werden, stellt Nachforschungen an und stöbert in seinem Leben herum. Er besucht das elterliche Haus, spricht mit der Mutter und erfährt vom örtlichen Polizisten, dass die Eltern längst verstorben sind und das Haus seit Monaten leer steht.
Die Wirklichkeit wird für den gelernten Seelendoktor und das Publikum langsam selbst brüchig. Aber hing da nicht schon von Anfang an ein Schleier des Irrealen über den Bildern? Ist dort nicht eben eine ungewohnt große Zahl von Zwillingen über den Campus geschlendert? Und dann befinden wir uns ständig an einem anderen Ort, ohne dass die Szene ordentlich durch einen Schnitt beendet worden wäre.
Mit filmischer und schnitt-technischer Brillanz entwirft Marc Foster (Monsters Ball) ein visuelles Verwirrspiel, das allmählich auch die Filmhandlung infiziert. Was sich am Anfang wie ein diffuses Unwohlsein anfühlt, entwickelt sich zu einer filmischen Achterbahnfahrt.
Keinesfalls sollte man sich Stay alleine anschauen, weil zwei Augen einfach zu wenig sehen und man sich nach dem Kinobesuch genüsslich die Köpfe heiß reden kann, um den Film gemeinsam im Kopf neu zusammen zu setzen.

Martin Schwickert
USA 2005 R: Marc Forster B: David Benioff K: Roberto Schaefer D: Ewan McGregor, Ryan Gosling, Kate Burton, Naomi Watts