STARBUCK - HOLGER MEINS Knarre statt Kamera
Ein harmloses Portrait des RAF-Mitglieds Wer das Foto einmal gesehen hat, vergisst den Anblick nie. Es zeigt den nackten, ausgezehrten Leichnam von Holger Meins, der nach 56 Tagen Hungerstreik am 9. November 1974 starb. Ein unwirkliches Bild und eines der grausamsten Dokumente der bundesrepublikanischen Geschichte. Für die einen ist und bleibt Holger Meins ein fanatisierter Terrorist, den anderen gilt er immer noch als politischer Märtyrer. Seine Briefe, die er aus dem Knast nach draußen schrieb, gehörten noch Jahrzehnte lang zum Katechismus der radikalen Linken: Entweder Du bist ein Teil des Problems oder ein Teil der Lösung! war auf Transparenten zu lesen. Mensch oder Schwein hieß die Alternative im Raster der politischen Polarisierung. Dieses Freund/Feind-Denken sollte noch bis Ende der 90er Jahre die politische Auseinandersetzung innerhalb und außerhalb der Linken mit dem Phänomen RAF blockieren. Erst in den letzten Jahren gelang es auch im Kino, das Thema jenseits der Barrikadenlogik anzugehen. Christian Petzolds Die innere Sicherheit beleuchtete die psychischen Konsequenzen von Konspirativität und Verfolgungswahn. Andres Veiels Black Box BRD legte Täter- und Opferbiografien gewinnbringend nebeneinander und Christopher Roths Berlinalebeitrag Baader dekonstruierte provokant verfälschend den Mythos des RAF-Kämpfers. Gerd Conradts biografische Collage Starbuck Holger Meins kommt dagegen schon fast altbacken daher und bleibt trotz der sicheren historischen Distanz den linken Solidarisierungsmustern verpflichtet. Conradt hat mit Holger Meins in den wilden Endsechzigern an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin studiert - bis Meins die Kamera gegen die Knarre eintauschte. Daraus ergibt sich die Perspektive auf das Leben vor dem bewaffneten Kampf, auf den Künstler und Kameramann Holger Meins. Kommilitonen und politische Weggefährten werden befragt. Darunter prominente Persönlichkeiten wie Michael Ballhaus und Wolfgang Peterson, die ebenfalls an der DFFB lehrten oder studierten und später in Hollywood Karriere machten. Fast alle Befragten betonen die hohe Sensibilität des jungen Holger Meins. Rainer Langhans beschreibt ihn sogar als Sorgenkind der legendären Kommune 1. In einer kahlen Fabriketage hängen an einer Leine die Zeichnungen und Gemälde des späteren RAF-Kämpfers. Darunter auffallend viele Selbstporträts. Für kurze Momente hat man das Gefühl in die Seele hineinschauen zu können, wenn der Maler Manfred Blessmann zeigt, wie sich darin in den fragenden Blick die Behauptung mischt. Leider sind diese Momente rar in Conradts filmischen Porträt. Zu sehr bindet er die persönliche Entwicklung an die politische Zeitgeschichte und bleibt damit Erklärungsmustern verhaftet, wie sie aus zahllosen Themenabenden im Fernsehen bekannt sind. Die Stationen der sich radikalisierenden Studentenbewegung werden abgehakt und mit dem teilweise recht skurrilen Agit-Prop-Filmmaterial aus den DFFB-Archiven angereichert. Der Griff zur Waffe erscheint dabei als logische Konsequenz der Zeit. Warum die einen nach Hollywood gingen und die anderen in den Untergrund, kann auch dieser Film nicht beantworten. Holger Meins Entwicklung vom christlichen Pfadfinder zum linksradikalen Märtyrer lädt dazu ein, die Figur aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, von denen Conradt viele anreißt, jedoch keinen wirklich vertieft. Nach dem Tod von Holger Meines hat der Vater eine Betondecke über sein Grab ziehen lassen. Darunter bleiben auch nach Conradts Film die eigentlichen Widersprüche, die die Person Holger Meins ausmachten, begraben.
Martin Schwickert
R&B: Gerd Conradt B: Hartmut Jahn
|