STAGE BEAUTY

Desdemonas Leiden
Eine Cross-Gender-Komödie aus der Theaterwelt

Eine Frau spielt ein Frau. Wo ist da der Trick?" fragt Ned Kynaston (Billy Crudup) süffisant. Er weiß, wovon er redet. Ned beherrscht alle Tricks, wie man als Mann eine Frau spielt. Er hat die Mimik, die Gesten, die Körpersprache, die Stimme, die Atmung, die Blicke des anderen Geschlechts genau studiert, sie sich angeeignet und mit dem eigenen Körper verschmelzen lassen. Kynaston ist der Star der Londoner Theaterwelt in der zweiten Hälfte des 17.Jahrhunderts. In "Othello" steht er als Desdemona auf der Bühne. Wenn seine Hand in der Sterbeszene formvollendet erschlafft, halten alle im Saal den Atem an; im England jener Jahre war es Frauen verboten als Schauspielerinnen aufzutreten.
Hinter der Bühne sitzt eine Frau, die jeden Satz, jede Geste seiner Desdemona-Performance auswendig kann. Maria (Claire Danes) träumt nicht nur davon selbst auf der Bühne zu stehen. Nachts borgt die Garderobiere des Meisters sich heimlich dessen Kostüm und Requisiten und tritt als Desdemona in einer illegalen Othello-Inszenierung in einer düsteren Spelunke auf. Die Underground-Vorführung wird zum Stadtgespräch in London und am Hofe des exaltierten King Charles II (at his best: Rupert Everett). Aus einer königlichen Laune heraus und unter Einfluss seiner theaterambitionierten Mätresse erlässt der Monarch ein Gesetz, dass die Geschlechterverhältnisse auf den englischen Bühnen umkehrt. Ausschließlich Frauen dürfen jetzt noch Frauen spielen.
Maria wird über Nacht zum Star, während Kynaston kein Engagement mehr finden kann und zum Gespött der Londoner Gesellschaft wird. Dass ausgerechnet Maria, die schon lange in ihren Meister verliebt ist, dessen Untergang herbeiführt und ihn gleichzeitig zu schützen sucht, verkompliziert die emotionale Topographie: die Parameter der Geschlechterdifferenz werden genüsslich und höchst unterhaltsam dekonstruiert.
Regisseur Richard Eyre (Iris) verliert sich nicht in Ausstattungsschlachten, sondern konzentriert sich auf die Dynamik der Erzählung und auf das freie Spiel mit und der gezielten Täuschung von Zuschauererwartungen. Selbst die Liebesgeschichte, die in einen heterosexuellen Umpolungsprozess umzukippen droht, findet immer wieder den Weg in die unkonventionelle Auflösung.
Stage Beauty ist auch eine überzeugende Liebeserklärung an das Theater. Das Geschlechterkampffinale, das zwischen Othello und Desdemona auf der Bühne ausgetragen wird, lässt einen vergessen, dass man nur in einem Kinosessel sitzt. Und last but not least: Billy Crudup, der eine hinreißende Performance abliefert und seine Figur sowohl in komischen als auch tragischen Momenten zum Leuchten bringt.

Martin Schwickert
GB 2004 R: Richard Eyre B: Jeffrey Hatcher K: Andrew Dunn D: Billy Crudup, Claire Danes, Rupert Everett, Tom Wilkinson