DER TINTENFISCH & DER WAL

Ego in der Tinte

Eine literarische Scheidungsfamilie

Wie dicht Intelligenz und Dummheit beieinander liegen können, dafür ist Bernard Berkman (Jeff Daniels) das beste Beispiel. Einst war der Mann ein gefeierter Schriftsteller. Das ist schon eine Weile her, und heute mag kein Verleger mehr seine Manuskripte veröffentlichen. Was bei anderen in eine Krise oder zu Minderwertigkeitskomplexen führen würde, bewirkt bei Bernard gar nichts. Bernard ist einer dieser Männer, die immer wissen, was Phase ist - egal bei welchem Thema. Das ist für seine Umgebung ziemlich anstrengend, etwa für seine Frau Joan (Laura Linney), die auch Schriftstellerin ist und gerade ihre erste Kurzgeschichte im renommierten New Yorker veröffentlicht hat, was den Gatten fürchterlich fuchst.
Zu Beginn von Noah Baumbachs Familiensatire sieht man Bernard und Joan mit ihren beiden Söhnen beim Tennisspiel. Der Vater und der ältere Walt (Jesse Eisenberg) auf der einen Seite und die Mutter mit dem jüngeren Frank (Owen Kline) auf der anderen Seite. Das Match ist wie eine Miniatur des dysfunktionalen Familienlebens. Vater und Sohn lassen den unterlegenen Gegnern nicht den Hauch einer Chance. Bernard sonnt sich im vorhersehbaren Sieg über den hoffnungslos unterlegenen Gegner, bis Joan laut fluchend den Tennisschläger durch die Halle pfeffert. Wenig später sitzen alle zur Familienkonferenz im Wohnzimmer. Die Eltern lassen sich scheiden und wollen das Sorgerecht für die verblüfften Kinder teilen.
Noah Baumbach erzählt die Geschichte einer sich auflösenden Familie aus der Perspektive der beiden Jungen. Während Walt seinen Vater anhimmelt und dessen Lebensratschläge ("Du darfst dich nie zu früh binden") in sich aufsaugt, fühlt sich Frank, der gerade seine ersten autoerotischen Erfahrungen macht, bei seiner Mutter besser aufgehoben. Beide werden in der Schule auffällig. Frank, weil er sein neu erworbenes Sperma auf Bibliotheksregalen verteilt. Walt, weil er bei einem Musikwettbewerb den Pink-Floyd-Song "Hey You" als Eigenkomposition ausgibt. Als Joan mit Franks Tennislehrer eine Beziehung beginnt und Bernard eine seiner Studentinnen als Untermieterin einziehen lässt, drohen die Kinder den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Ohne moralische Anklage blickt Baumbach auf die Egoismen der Erwachsenen, die ihre Midlife-Crisis als zweite Pubertät ausleben, während die Söhne mit ihrer eigenen Hormonumstellung kämpfen. Vollkommen uneitel setzt Jeff Daniels seinen kriselnden Patriarchen in Szene und nagt das männlich-intellektuelle Alphatier-Gehabe bis auf die Knochen ab. Gerade weil Daniels einer der eher unscheinbaren Vertreter seiner Zunft ist und nie in die Übertreibung verfällt, bekommt seine messerscharfe Karikatur maskuliner Egozentrik eine gewisse Allgemeingültigkeit. Der Tintenfisch und der Wal, in dem Baumbach seine eigene Biografie als Scheidungskind in einer Literatenfamilie verarbeitet, ist eine sensible und vor allem hochamüsante Studie über den ganz normalen Wahnsinn in einer kollabierenden Kleinfamilie.

Martin Schwickert

The Squid and the Whale. USA 2005 R&B: Noah Baumbach K: Robert Yeoman D: Jeff Daniels, Laura Linney, Jesse Eisenberg, Owen Kline


Das Interview zum Film