SPIDER-MAN 2

Mit hängenden Schultern

Endlich mal ein ansehnlicher Blockbuster

Es gibt kein Entrinnen aus der Heldenexistenz. Sogar die Unterhosen, die Peter Parker im Waschsalon aus der Maschine zieht, sind vom rot-blau des Spinnenmann-Kostüms durchdrungen. Wie konnte er auch wissen, dass das Spider-Man-Outfit nicht in die Kochwäsche gehört?
Immer noch trägt Parker (Tobey Maguire) die Last seines Heldendaseins allein auf seinen herabhängenden Schultern. Der ganze Verbrechensbekämpfungsstress in der Nacht hat die zivile Existenz des jungen Studenten vollkommen zerrüttet. Er lebt in einem heruntergekommenen Zimmer, ist mit der Miete im Rückstand, wird von den Dozenten verwarnt und verliert sogar seinen schlecht bezahlten Job als Pizza-Kurier.
Am schwersten liegt ihm jedoch die uneingestandene Liebe zu seiner Spielplatzfreundin Mary Jane (Kirsten Dunst) auf dem Herzen. Die hat es mittlerweile zur Broadway-Schauspielerin gebracht und lächelt ihn als Kosmetik-Model von den Werbetafeln der Stadt an. Dabei wäre alles so einfach. Wenn die beiden sich treffen, reden sie so offensichtlich um den heißen Brei herum, dass es einem fast das Herz bricht. Aber ein Mann wie Spider-Man hat Feinde, und Peter will seine Liebste nicht gefährden.
Erstaunlich wie Regisseur Sam Raimi in der Fortsetzung der Marvel-Comic-Adaption auf das romantische Verantwortungsgefühl pocht. Andere Filmhelden bekommen nach vollbrachter Weltenrettung Bräute wie Blumensträuße überreicht. Nur dieser Peter Parker bleibt in Liebesdingen ein ewig Hadernder. In Spider-Man 2 arbeitet Raimi den Widerspruch zwischen Helden- und Herzensangelegenheiten als zentrales Spannungsmoment heraus. Irgendwann wirft Parker sein Spider-Man-Kostüm einfach auf den Müll, weil er endlich ein ganz normales Leben führen und Mary Jane sein Herz zu Füßen legen will. Aber die Umschulung vom Superhelden zum Normalo will einfach nicht gelingen, weil New York von einem neuen Monster bedroht wird. Eigentlich war Dr.Octavius (Alfred Molina) ein verantwortungsbewusster Wissenschaftler, bevor die Maschinenarme, die ihm bei seinen Experimenten helfen sollten, die Kontrolle über Geist und Körper des Forschers übernommen haben. So wie Spider-Man ein Held wider Willen ist, so ist "Doc Ock" ein tragisches Monster, wie man es aus klassischen Horrorfilmen kennt. Als ausgerechnet Peters Freund Harry Osborn (James Franco) den Pakt mit dem Monster eingeht, um die Identität Spider-Mans zu enthüllen, gerät Mary Jane in Gefahr - und das ruft den kriselnden Spinnenmann wieder auf den Plan. Furios auch diesmal die Flugsequenzen durch die Hochhausschluchten des Big Apple. Aber Raimi setzt hier nicht mehr nur auf den technischen Überwältigungseffekt, sondern auf ästhetische Eleganz. Die Bewegungen sind fließender und weniger zerschnitten als im ersten Teil. Langsam beginnt sich die digitale Bildtechnik den künstlerischen Vorstellungen unterzuordnen. Fast ein Jahrzehnt lang war es umgekehrt. Und Raimi hat sehr klare Vorstellungen. Er hat seinem Film mit einer hauchzarten, surrealen Textur durchzogen. New York sieht aus wie heute, nur die Farben, das Licht, die Körnung der Bilder sind ein wenig realitätsverschoben und verwandeln die Straßen Manhattans in einen verwunschenen Ort, an dem alles möglich zu sein scheint.
Spider-Man 2 verbindet auf allen Ebenen den etwas nostalgischen Flair der Comic-Vorlage kunstvoll mit den Ansprüchen des modernen Abenteuerkinos. So atemberaubend die Effekte auch sind, Raimi achtet immer darauf, dass sie nie die Charaktere überlagern. Die Figuren sind mit klaren, kräftigen Pinselstrichen gemalt, wie es sich für eine Comic-Adaption gehört, aber auch differenziert genug, um auf der Leinwand frei atmen zu können. Tobey Maguire ist hineingeboren in die Rolle des Anti-Super-Helden. Mit sichtbarem Genuss spielt er die linkischen Qualitäten und den schüchternen Charme seiner Figur aus. Kirsten Dunst schmachtet überzeugend im Cinemascope-Format, ohne zur Kitschstatue zu erstarren. Der amouröse Hindernislauf zwischen den beiden wird nie der Ironie preisgegeben. Im Gegenteil: Raimi macht sich die alte Weisheit des Melodrams zu eigen, dass die Sehnsucht nach Liebe auf der Leinwand sehr viel mehr Kraft entwickelt als deren Erfüllung. Und Kraft hat dieser Film - auf allen Ebenen der Kinoklaviatur. Spider-Man 2 überzeugt und überwältigt als Liebesfilm, Actionmovie, Technik-Spektakel, ja sogar als New Yorker Heimatfilm - ein absolutes Schmuckstück in der diesjährigen Blockbuster-Kollektion.

Martin Schwickert

USA 2004 R: Sam Raimi B: Alvin Sargent, Alfred Gough, Miles Millar, Michael Chabon K: Bill Pope D: Tobey Maguire, Kirsten Dunst, James Franco, Alfred Molina