»SPEED II - CRUISE CONTROL«

Relativ schnell

Nach dem Bus, der nicht anhalten darf, kommt das Schiff, das nicht anhalten kann.

Geschwindigkeit ist eine Frage des Standpunktes. Die hohe Geschwindigkeit eines schnell passierenden Automobils, zum Beispiel, erkennt der Betrachter daran, daß das Auto, kaum kommt es in Sicht - wusch! - schon vorbei ist. Diese Art von Geschwindigkeit ist für längere Filme unbrauchbar. Wenn der Betrachter aber in dem Auto sitzt, kann das Auto auch ein Bus sein; wichtig ist nicht mehr die absolute Geschwindigkeit, sondern zum Beispiel der Umstand, daß man nicht anhalten oder eine bestimmte - auch moderate - Geschwindigkeit nicht unterschreiten darf: eine Vereinbarung, kein Gesetz. Mit der Einhaltung so einer Vereinbarung hat Jan De Bont Speed , einen der frechsten und gleichzeitig aufregendsten Actionfilme der letzten Jahre, auf Touren gehalten.
In Speed II erforscht De Bont andere Aspekte von Geschwindigkeit: Verzögerung und Trägheit. Der Anfang, der wie bei James-Bond-Filmen eher eine Vorgeschichte als eine Exposition darstellt, behandelt die dramaturgische Verzögerung. Der Verfolger (hier: ein Polizist auf einem Motorrad) ist zwar viel schneller als der Verfolgte (irgendwelche Verbrecher in einem Lieferwagen), aber trotzdem schafft es der Verfolger nicht. Eben setzt er zum Überholen an, aber nach dem nächsten Schnitt ist er wieder weiter zurück. Absurderweise ist die Jagd ganz und gar unnötig, weil die Straße längst von einem großen Polizeiaufgebot abgesperrt ist. Dazu sieht man in einer Parallelmontage eine junge Frau bei einer Führerscheinprüfung alles falsch machen, was man im Straßenverkehr nur falsch machen kann. Diese Anfangssequenz ist furios gefilmt und geschnitten, hat durch zahllose mutwillig eingestreute Hindernisse und Fahrschul-Rüpeleien durchaus Slapstick-Qualitäten, und ist doch vollkommen zweck- und sinnfrei, bar jeder Logik.
Natürlich treffen Lieferwagen, Verfolger und Probandin bei der Straßensperre aufeinander. Die junge Frau ist Annie, jene unerschrockene Fahrerin des Busses aus dem ersten Teil, der Motorradfahrer ist ihr neuer Freund Alex, und die Lieferwagenbesatzung wird verhaftet. Weil Alex Annie vorgeschwindelt hat, er sei ein normaler Cop und kein Elite-Motorrad-Polizist, ist sie sauer. Er kann sie aber mit zwei Karibik-Luxus-Kreuzfahrt-Tickets besänftigen.
Auf der dann beginnenden Kreuzfahrt zeigt uns Jan De Bont, was Trägheit und Geschwindigkeit miteinander zu tun haben. So ein Schiff hat nämlich einen ziemlich langen Bremsweg, und wenn ein Verrückter an Bord die EDV-Fernsteuerung übernommen hat und vor allem auf Zerstörung aus ist, können ein paar Knoten ganz schön schnell sein, überhaupt wenn der Kurs schnurstracks auf die Breitseite eines Öltankers oder den Hafen einer idyllischen Karibikinsel gerichtet ist.
Die innere Logik der Geschichte scheint Jan De Bont ebenso wenig zu interessieren wie vielschichtige Charaktere mit soliden Motivationen. Das ist in diesem Genre vielleicht verschmerzbar, was aber wirklich nervt, ist das strukturschwache Drehbuch. Weil wir erlebnishungrigen Zuschauer viel zu lange warten müssen, bis es endlich losgeht. Bis dahin muß sich unser Traumpaar in Urlaubsstimmung bringen, und der Bösewicht muß all seine technischen Vorkehrungen zur Übernahme des Schiffes treffen. Das dauert, und beim Warten fallen eben unlogische und unglaubwürdige Details besonders auf. Wenn es dann aber soweit ist, das Schiff führerlos und in voller Fahrt auf dem Weg ins Verderben, dazu schwere See, schreiende Passagiere in abrutschenden Rettungsbooten, ein süßes taubstummes Mädchen gefangen in einem steckengebliebenen Fahrstuhl, der Kapitän tot auf dem Meeresgrund, der Bösewicht finster grinsend Wertgegenstände an sich raffend, mittendrin unser Heldenpaar permanent Heldentaten verübend, die Insel unaufhaltbar näherkommend, das Schiff knapp am Tanker entlangschrappend, zwischendurch ständig coole Sprüche und en-passant-Witzchen, schließlich die nicht für möglich gehaltene und in einer beispiellosen Zerstörungsorgie endlos sich dahinziehende Einfahrt des Schiffes in den Hafen - doch, dann hat man nicht das Gefühl, umsonst gewartet zu haben, dann stehen staunend Münder offen, weil eine so unverfrorene Reduktion des Kinos auf Schauwerte selten ist.

Jens Steinbrenner