STANDARD OPERATING PROCEDURE

Regierungs-Porno

Die Lust an den Bildern hat den Folterknechten von Abu Ghraib Knast eingebracht. »Standard Operating Procedure« untersucht den Vorfall und die Folgen.

Die Bilder gingen um die Welt und haben die amerikanische Propaganda vom gerechten Krieg im Irak über Nacht ad absurdum geführt. Die Fotos von den geschundenen Folteropfern in Abu Ghraib, die nackt an der Leine geführt, mit einer Kapuze über den Kopf und Drähten an den Händen in Kreuzigungsposition gebracht oder zu Menschenpyramiden übereinander gestapelt wurden, sind keine heimlich aufgenommenen Schnappschüsse, sondern inszenierte Erinnerungsfotos amerikanischer Soldaten.

In seinem Dokumentarfilm Standard Operating Procedure erforscht Errol Morris ( The Fog of War ) die Entstehungsgeschichte dieser Aufnahmen, vergrößert ihren Ausschnitt und sucht die Wahrheit neben und hinter den schockierenden Bildern. Er befragt die ehemalige Gefängnisleiterin, militärpolizeiliche Ermittler, private Verhörspezialisten und schließlich die GIs selbst, die als Akteure vor oder hinter der Kamera die Folterbilder in Szene setzten. Überraschend freimütig geben die Soldaten, die von Militärgerichten teilweise zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, über Misshandlungen in Abu Ghraib Auskunft.

Gerade einmal 21 Jahre war Lynndie England alt, als sie in den Krieg zog. Auf einem der bekanntesten Fotos führt sie einen nackten Gefangenen wie einen Hund an der Leine und zielt mit der zur Pistole geformten Hand auf dessen Genitalien. Besonders Frauen wurden in Abu Ghraib gezielt eingesetzt, um die Häftlinge zu demütigen und für die Verhöre "weich zu klopfen". "Was wir machten, galt als okay" sagt Lynndie England. Zur ganz legalen Folternormalität gehörte etwa die Gefangenen nackt mit der Unterhose über dem Kopf an Bettgestelle zu ketten.

Dass die Soldaten da ein wenig über das Ziel und die Vorschriften hinaus geschossen sind, wäre wahrscheinlich ohne Konsequenzen geblieben, wenn sie nicht das wichtigste Verbot der Gefängnisordnung missachtet hätten: Keine Fotos! Aber gerade der Reiz zur fotografischen Dokumentation potenzierte den Drang nach sadistischer Erniedrigung.

Wie ein Pornoregisseur drapiert Corporal Charles Graner die nackten Körper der Häftlinge zu einer Pyramide der Demütigung. Die Kamera erschafft die Gewalt, die sie zu dokumentieren vorgibt - ein Vorgang, der in unserer bildersüchtigen Gesellschaft von Snuff-Filmen im Internet bis zum Handyvideo einer Schulhofprügelei tief verankert ist.

Die Qualität von Morris Dokumentation ist, dass er durch die weitgehend unvoreingenommene Befragung der Täter den Blick über den Bildausschnitt der bekannten Fotos ausweitet auf die Gewaltstrukturen im Militärapparat und weit darüber hinaus. So wird Sabrina Harman, die mit erhobenem Daumen vor einem von CIA-Agenten zu Tode gefolterten Häftling posiert, zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt, während die eigentlichen Mörder straffrei ausgehen.

Die Gewissheit, dass ein Großteil der Verbrechen von Abu Ghraib ungesühnt bleibt, führt dazu, dass die Verurteilten auch nach der Haft keinerlei Schuldbewusstsein entwickeln. "Wenn von einem ein Foto gemacht wird, lächelt man halt. Man versucht freundlich auszusehen und macht den Daumen hoch. Da ist doch gar nichts dabei" sagt Sabrina Harman mit ungespielter Unverfrorenheit.

Leider vertraut Morris nicht der analytischen Wirkung solcher Aussagen, sondern reichert sein Interviewmaterial mit nachinszenierten Szenen an. In kunstvoller Nahaufnahme wird da zur visuellen Untermalung der Folterberichte eine Augenbraue rasiert. In verzerrter Zeitlupe fallen Patronenhülsen zu Boden, wenn von Schusswaffengebrauch die Rede ist. Mit dieser Ästhetisierung hat sich Morris bei der Premiere seines Films im Wettbewerb der Berlinale nicht nur von Dokumentarfilmpuristen harte Kritik eingehandelt.

Aber dieser gründlich misslungene Versuch, das Unfassbare für das Publikum visuell greifbarer zu machen, beschädigt nicht den Erkenntnisgehalt des Films. Die Vorkommnisse in Abu Ghraib - das zeigt Morris mit unnachgiebiger analytischer Schärfe - sind nicht ein Ausrutscher, sondern ein immanenter Bestandteil des Krieges und der Gesellschaft, die ihn in Auftrag gegeben hat.

Martin Schwickert

USA 2008 R&B: Errol Morris K: Robert Chappell, Robert Richardson


Das Interview zum Film