SOMEWHERE Schöner Stillstand Während überall im High-Speed-Modus gesurft wird und im Kino die digitalen Bilder in rasanten Schnittfolgen über die Leinwand huschen, hat Sofia Coppola ihr filmemacherisches Werk konsequent entschleunigt. In Hollywood baden die Filmstars in Glamour und Luxus. Johnny Marco (Stephen Dorff) ist einer von ihnen. Er wohnt im legendären Hotel "Chateau Marmont" unweit des Sunset Boulevards, wo schon Errol Flynn sich einquartierte, Jim Morrison einen Sturz aus dem zweiten Stock überlebte und Britney Spears Hausverbot hat. Außer Filmstar zu sein hat Johnny gerade nicht viel zu tun. Seine Hand ist gebrochen, weil er besoffen die Treppe runter gefallen ist. Offiziell ist das jedoch ein Stunt-Unfall. Wenn Johnny nicht gerade mit seinem Ferrari durch die Gegend braust, hängt er in seinem Hotelzimmer ab und weiß mit sich und seinem Leben recht wenig anzufangen. Ab und zu meldet sich die Agentin und schickt ihren verpennten Schützling zu einem Pressetermin oder in die Special-Effects-Abteilung, wo sein Celebrity-Gesicht in einer wunderbar absurden Szene mit Kunststoffschaum einbalsamiert wird, um einen Abdruck für die Maske herzustellen. In seiner Filmstarexistenz muss sich Johnny eigentlich um nichts kümmern. Alles fällt ihm in den Schoß. Vor allem Frauen, die sich ihm regelmäßig andienen. Und wenn es einmal abends nach ein paar Bier auf dem Hotelzimmer zu langweilig wird, ordert er die Zwillingsdamen, die ihre Kletterstangen auseinander klappen und vor seinem Bett einen ungeheuer synchronen Striptease tanzen, während er trunken grinsend davonschlummert. Johnny war auch einmal verheiratet und hat eine elfjährige Tochter, die er gelegentlich sieht. Als sie gerade zu Besuch ist, kommt ein Anruf der Mutter, dass sie für ein paar Wochen wegfährt, um sich um sich selbst anstatt um die Tochter zu kümmern. In ein paar Tagen soll er Cleo (Elle Fanning) ins Ferienlager bringen und solange sehen wie er mit ihr zurechtkommt. Cleo ist alt genug, um zu wissen, dass sie an ihren Vater besser keine Erwartungen stellt. Dennoch muss Johnny seinen Filmstar-Lifestyle ein wenig modifizieren und lässt sich immer mehr auf die Normalität einer Vater-Tochter-Beziehung ein. Ein Luftgitarrenwettbewerb an der Spielkonsole, ein Omelette, das Cleo in der Küche zubereitet, der gemeinsame Jetlag, wenn die beiden zu einer Preisverleihung nach Mailand fliegen - es sind gerade die unspektakulären Ereignisse, die die beiden zunehmend miteinander verbinden und ein anderes Licht in Johnnys Filmstarexistenz bringen. Eine solche Vater-Tochter-Geschichte würde in jedem Hollywoodfilm sofort im Familienkitsch ertränkt. Zuneigungsbekenntnisse, Tränen, Klärungsgespräche, katharsisartige Wandlung des Rabenvaters - all das erspart uns Sofia Coppola und entwickelt dafür einen mikroskopischen Blick für die emotionalen Details und jene unsichtbare Kraft, mit der Kinder das Herz sanft bewegen und die Lebensprioritäten der Erwachsenen grundlegend in Frage stellen können. Da reicht ein Kopf, der sich mit kindlicher Vertrautheit an die Schulter lehnt oder eine hochgezogene Augenbraue, mit der Cleo die Situation am Frühstückstisch mit einer Geliebten des Vaters kommentiert. Wie schon in Lost in Translation hat Sofia Coppola auch hier die emotionalen Verschiebungen so fein austariert, dass auf große Worte ganz verzichtet werden kann. Sie vertraut ihren Bildern und vor allen den beiden famosen Hauptdarstellern. Stephen Dorff als dauerzerknitterter Schönling hat hier die beste Rolle seiner Karriere, und auch die junge Elle Fanning trifft den Ton ihrer Figur mit ungeheurer Genauigkeit. Somewhere ist mit Abstand einer der schönsten und zartesten Filme dieses Kinojahres. Martin Schwickert USA 2010 R & B: Sofia Coppola. K: Harris Savides D: Michelle Monaghan, Elle Fanning, Stephen Dorff, Chris Pontius, Laura Ramsey
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