DAS ZIMMER MEINES SOHNES Tiefe Trauer
Nanni Moretti will nicht mehr der italienische Woody Allen sein Zuerst wird eine Metallplatte über den offenen Sarg gelegt und von den Angestellten des Bestattungsinstitutes in verschwiegener Diskretion rundherum verlötet. Dann erst folgt der Deckel. Die Schrauben winden sich präzise in die vorgebohrten Löcher und durchbrechen mit einem leisen Surren die Stille im Raum. Die Kamera zeigt das in Großaufnahme, denn mit jeder Schraube bohrt sich die Endgültigkeit des Verlustes ins Herz der Trauernden. Es ist die nüchterne Genauigkeit und nicht der melodramatische Duktus, mit der Nanni Moretti das Mitgefühl des Publikums herausfordert. Moretti spielt den Psychoanalytiker Giovanni, der im italienischen Adriastädtchen Ancona mit seiner Frau Paola (Laura Morante), Tochter Irene und Sohn Andrea ein zufriedenes Leben führt. Die Sorgen um die heranwachsenden Kinder sind klein. Am Ende des Flurs hat Giovanni seine Praxis. Hier werden Psychosen, Neurosen und Manien in allen Größenordnungen verhandelt. Ein Triebtäter sucht ungeduldig nach Erlösung. Ein junge Frau ist hoffnungslos im eigenen Hygienewahn verfangen. Die einen offerieren auf der Couch geschwätzigen Traumsalat, die anderen fordern den offenen Streit mit dem allmächtigen Analytiker. Es geht darum, eine entspannte Haltung zum Leben und zur Welt zu bekommen, sagt Giovanni zu einem Patienten und strahlt dabei selbst die Kraft der Gelassenheit aus. An einem Sonntag wird er vom Frühstückstisch zu einem Notfall gerufen. Eigentlich wollte Giovanni den Tag mit seinem Sohn verbringen. Statt dessen geht Andrea mit seinen Freunden tauchen und kommt dabei durch einen Unfall ums Leben. Die Trauer um den Tod des Sohnes treibt die Familie auseinander. Zu unterschiedlich sind die Umgangsformen mit dem tragischen Verlust. Während Paola die schmerzhaften Gefühle an sich heranlässt, versteigt sich Giovanni in selbstzerstörerische Ursachenforschung und kann die Sorgen seiner Patienten immer weniger ertragen. Das Zimmer meines Sohnes zeigt deutlich, wie der Tod eines geliebten Menschen das Leben der Hinterbliebenen mit einem unbarmherzigen Schnitt in ein davor und ein danach zerteilt. Beide Hälften zeichnet Nanni Moretti mit berührender Intensität. Selten hat sich ein Film derart kompromisslos den Gefühlen seiner Figuren gestellt und das Publikum allein durch Aufrichtigkeit statt durch dramatische Effekte zu Tränen gerührt. Dabei ist Das Zimmer meines Sohnes kein düsteres Trauerspiel. Mit leiser Ironie blickt Moretti auf das Familienglück zu Beginn, beobachtet in sparsamen Bildern die Trauerarbeit und findet sogar zu einer humorvollen Schlusswendung zurück. Kein Zufall, dass Morettis Hauptfigur ein Psychoanalytiker ist, denn auch als Regisseur lässt er das mitfühlende Publikum nie ohne Trost im Kinosessel zurück.
Martin Schwickert
La stanza del figlio Italien 2001 R&B: Nanni Moretti B: Linda Ferri, Heidrun Schleef K: Guiseppe Lanci D: Nanni Moretti, Laura Morante, Jasmin Trinca, Guiseppe Sanfelice
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