»FRÄULEIN SMILLAS GESPÜR FÜR SCHNEE« Eisstation Julia
Kalte Kunst & harscher Thriller Ihr Name ist Ormond, Julia Ormond - und möglicherweise hat sie gerade die Welt gerettet. Mit Sicherheit aber diesen Film. Weil sie genauso schön frieren wie sich fürchten kann, weil sie beim Verliebtsein intelligent aussieht, und weil niemand sonst die schnöselige Mätresse ihres Vaters so mit einem Griff an Hals und Schritt aushebeln hätte können, ohne dabei peinlich zu wirken. Und wenn sie erhitzt im Bett des vermutlichen Verräters kehliges Südgrönländisch spricht, dann möchte man Däne sein. Mann sowieso. Sonst aber ist fast alles nur Kunsteis, an Originalschauplätzen. Am Anfang, im letzten Jahrhundert, plumpst ein Feuerball da hinein und löst eine Art aufklärerischer Horizontallawine aus. Am Ende sprengt der geimnisvolle Gute mit einer zweiten alle Spuren der Geschichte in den Permafrost zurück. Bis auf zwei Fußspuren. Die eine führt am Anfang, in der Gegenwart, über den Dachrand einer Mietskaserne in Kopenhagen - ein Eskimo-Junge (politisch korrekt Inuit genannt) ist da in den Tod gestürzt. Die andere führt am Ende auf brüchige Schollen. Ein verrückter Wissenschaftler findet dort seine gerechte Strafe im Versinken, weil er das Gleichgewicht nicht halten kann. Ganz wie der Film. Fast wie das Buch (3,5 Millionen Weltauflage), aber nicht das Hörspiel (20.000 Auflage in Deutschland). Literatur und Thriller, Gefühlsphilosophie und Science Fiction Trash, behutsam konstruierte Innenwelten und ein in den Fugen ächzendes Spannungsgerüst ... das alles ist in Smilla . Aber von den 18 Sorten Schnee, die das Grönländische kennt, taugt nur eine zum Iglu-Bauen. Das weiß sogar Smilla, die Halb-Inuit, aber Bille August, der Voll-Däne, versucht es 120 Minuten lang mit den 17 anderen. Zum Teil wohl, weil der Mix aus amerikanischem Psycho-Drehbuch (Ann Bidermann hat Copykill , nicht schlecht, und Zwielicht , nicht gut, geschrieben), britischem Schauspiel-Akzent (u.a. Gabriel Byrne, von Rolf Zacher gewöhnungsbedürftig gesprochen, Richard Harris, mit Sean Connerys Synchronstimme, Vanessa Redgrave, Jim Broadbent, Bob Peck und natürlich Julia Ormond) und deutscher Produktion (Bernd "Rosemarie" Eichinger) mehr geschüttelt als gerührt wurde. Teils auch, weil sich Bille August für den geistigen Sohn Ingmar Bergmans hält - und aus einer Gast-Regie für George Lucas' Young Indiana Jones das falsche gelernt hat. Der SF-Schnee ist schwer von gestern: ein irgendwie Energie aus sich selbst erzeugender Meteor ist im Polarmeer niedergegangen, eine skrupellose Bohrgesellschaft hat ihn gefunden, mehrere Wissenschaftler wollen damit die Welt zugleich retten und erobern, und gehen dafür über die Leichen, die der rätselhafte Brocken bei Kontakt aus den Hilfstruppen macht. Die Thriller-Loipe ist arg verharscht. Vor was floh der vom Dach gefallene Junge? Warum obduziert eine Koryphähe das Unfallopfer? Wer wollte seiner Mutter Geld bei der Beerdigung geben? An was starb sein Vater vor Jahren beim Forschungsreisen? Wer brachte den Informanten um, der wichtige Indizien interpretieren wollte? Warum muß Mario Adorf als korrupter Kapitän mit drogensüchtigem Jürgen-Vogel-Sohn mitspielen? Warum stottert der Nachbar, mit dem wir uns, warum eigentlich, an die Aufklärung wagen? Das Seelen-Drama schließlich - ach, seht es selbst. In Smilla ist mehr, als in eine Rezension paßt. Und Smilla ist Julia Ormond, der wir die Unvereinbarkeiten von Plot und Stil, Bild und Text, Plattitüde und Tiefe gerne durchgehen lassen. Eine ruppige Schönheit, eine verletzliche Heldin, eine clevere Ausländerin in der eigenen Heimat, und das vermutlich wandlungsfähigste "female interest" der jüngeren Filmgeschichte. Wenn Peter Hoeg den nächsten Bond-Film schreibt, dann muß Julia Ormond ihn spielen. Und Bille August darf dabei die Landschaften aufnehmen. Eskimo-Eltern lassen übrigens ihre Kinder gerne auf treibenden Eisschollen spielen. Und Blagen, die das Gleichgewicht nicht halten können, fallen dem harten Leben danach einfach nicht mehr zur Last.
WING
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