»SLING BLADE« Zurück ins Leben
Ein Mörder wird aus der Heilanstalt entlassen Er redet wie ein Rennauto im Leerlauf - das beruhigt mich" - der zwölfjährige Frank findet liebenswerte Worte für seinen neuen Freund Karl. Immerhin hat der Mann, dessen monotone schnarrende Stimme den ganzen Film begleitet, 25 Jahre in einer Nervenheilanstalt für Kriminelle verbracht und als Junge seine Mutter samt Liebhaber mit einer Sichel ermordet. Nun ist Karl als geheilt entlassen und kehrt in seinen Geburtsort zurück, obwohl dort niemand auf ihn wartet. Karl hat nicht viel von der Welt gesehen. Seine Kindheit mußte er von den Eltern vernachlässigt in einem Schuppen verbringen, Lesen und Schreiben lernte er erst in der Psychiatrie. Seine gebeugte Haltung, der schleppende Gang, die vorgeschobene Unterlippe, die verzögerten Denk- und Sprechbewegungen machen ihn zu einem Outcast. Nur langsam gewöhnt sich Karl an das Leben "da draußen", findet einen Job in einer Reperaturwerkstatt, in Frank einen ersten Freund und eine Unterkunft im Hause von Franks Mutter Linda. Die Vorbehalte gegen den Sonderling sind schon bald ausgeräumt und Karl scheint seinen Platz in der überschaubaren Südstaatengemeinde zu finden. Nur Lindas Lebensgefährte Doyle, ein agressiver Redneck, spart nicht mit Anfeindungen, und als er wieder mit Handgreiflichkeiten gegen Linda und ihren Sohn droht, scheint sich für Karl die dunkle Geschichte seiner Vergangenheit zu wiederholen. Die Figur des Karl, vom Regisseur und Drehbuchautor Thornton selbst gespielt, wird nicht zur Bewährungsprobe für die Gesellschaft, die im Umgang mit dem Sonderling Toleranz lernt und über sich selbst hinauswächst. Vielmehr interessiert sich Sling Blade für die innere Zerissenheit seines Helden Karl, und die Konzentration auf die Figur ist geradezu bedingungslos. Sling Blade arbeitet in fast farblosen Bildern an einem visuellen Stimmungsbild, das dem Seelenzustand der Hauptfigur widerzuspiegeln sucht. Wenn aus Karls dunkler Vergangenheit berichtet wird, verzichtet der Film auf spektakuläre Rückblenden, sondern läßt stattdessen den Protagonisten erzählen. Karl ist langsam, und langsam ist auch der Film. 136 Kinominuten, lange ruhige Einstellungen, auch in sentimentalen Momenten kaum Großaufnahmen, violinfreier Soundtrack, selbst ein Mord wird völlig unspektakulär in Szene gesetzt. Sling Blade ist kein Film für den schnellen Kinohunger.
Martin Schwickert
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