SIDEWAYS

Die Weinprobe

Das Interview zum Film

Männer sind seltsam - nach »About Schmidt« legt Alex Payne noch mal nach

Miles liebt den Wein. Den Geschmack genauso wie den Alkoholgehalt. Wenn er über die Vorzüge des Pinot Noir sinniert (einer Rebsorte mit dünner Haut, die ein spezielles Klima braucht, um zu gedeihen, und eine umsichtige Behandlung, damit sie ihr reichhaltiges Aroma entfalten kann), dann spricht er auch über die fragile Beschaffenheit der eigenen Seele.
Miles (Paul Giamatti) geht auf die 40 zu und hat es nicht weit gebracht. Als Literaturdozent am College hält er sich mehr schlecht als recht über Wasser. Die Trennung von seiner langjährigen Ehefrau nagt beharrlich am Selbstbewusstsein, und für seinen ersten, autobiografischen Roman mit dem schönen Titel "The Day After Yesterday" lässt sich kein Verleger finden.
Ganz anders sein Freund Jack (Thomas Haden Church). Der spielt zwar als Schauspieler in der dritten Liga und darf im Fernsehen nur noch die Nebenwirkungswarnungen für Arzneimittel vorlesen, nichtsdestotrotz strotzt er vor Selbstbewusstsein. In einer Woche wird Jack heiraten, und Miles organisiert, als Abschied vom Junggesellendasein, eine gemeinsame Reise durch das kalifornische Weinanbaugebiet.
In seinem hochunterhaltsamen Roadmovie Sideways entwirft Regisseur Alexander Payne (About Schmidt) eine Männerfreundschaft voll schillernder Gegensätze.
Miles, der blässliche, dickliche, verkorkste Intellektuelle, ein Gourmet, der von Wein und gutem Essen schwärmen, aber sein eigenes Leben nicht genießen kann. Jack, der braungebrannte Weiberheld und Kulturbanause von entwaffnender Oberflächlichkeit, der Wein wie Brause herunterkippt und die Reise für einen letzten, vorehelichen Seitensprung nutzen will.
Schon lange hat sich Miles tatenlos in die Restaurant-Kellnerin Maya (Virginia Madsen) verguckt. Während die beiden nach einem Vierer-Date auf der Veranda über die Vorzüge des Pinot Noir sinnieren, fallen Jack und Mayas Freundin Stephanie (Sandra Oh) im Schlafzimmer lautstark übereinander her. Als Stephanie von Jacks bevorstehender Hochzeit erfährt, hat das auch Folgen für Miles' Verhältnis zu Maya.
Sideways ist ein Film, den man je nach persönlicher Neigung und Tagesverfassung als Komödie oder Tragödie, als ironischen Exkurs über Männerfreundschaften oder als nachdenkliche Liebesgeschichte zwischen beschädigten Seelen, als sonnendurchflutetes Roadmovie oder intimes Kammerspiel lesen kann.
Diese Vielschichtigkeit gründet sich auf der Präzision, mit der Payne die Stärken und Schwächen seiner vollkommen unvollkommenen Helden zeichnet.
Von menschlicher Genauigkeit und geschliffenen Dialogen lebt auch der Humor des Films, der die Charaktere gnadenlos entlarvt und trotzdem mit einer Zärtlichkeit behandelt, wie man sie heute nur noch selten vorfindet.
Paul Giamatti (American Splendor) in der Rolle des melancholischen Alkoholikers ist einer der schillerndsten Loser der jüngeren Filmgeschichte. Allein wie er beim Gehen die Arme am Körper herunterbaumeln lässt, spricht Bände über den erschöpften Seelenzustand seiner Figur.
Scheinbar mühelos tariert Payne die unterschiedlichen Charaktere miteinander aus, lässt sie immer wieder von ihren festgetretenen Pfaden abweichen und macht sie nie zu Handlangern der Plotkonstruktion.
Mit Sideways ist ihm nach About Schmidt erneut eine vielschichtige und zutiefst menschliche Komödie gelungen.

Martin Schwickert
USA 2004 R: Alexander Payne B: Alexander Payne, Jim Taylor K: Phedon Papamichael D: Paul Giamatti, Thomas Haden Church, Sandra Oh, Virginia Madsen