SHUTTER ISLAND

Überall Wahnsinn

Martin Scorsese mixt ein paar Angst-Genres neu zusammen

Ein Schiff taucht aus dem Nebel und hält zu auf eine einsame Insel. An Bord sind zwei US-Marshalls, und nachdem die beiden die Insel betreten haben, werden sie und der Film das düstere Eiland nicht wieder verlassen.

Ein gezielt klaustrophobisches Szenario entwirft Martin Scorsese in Shutter Island nach dem Roman von Dennis Lehane, der auch schon die Vorlage für Clint Eastwoods Mystic River lieferte. Auf der Insel befindet sich das "Ashecliffe Hospital" für straffällige Geisteskranke. Die gefährlichsten Fälle werden hier interniert. Trotz der Festungsmauern und dem schwer bewaffneten Wachpersonal spricht der undurchsichtige Direktor Dr. Cawley (Ben Kingsley) beharrlich von Patienten und nicht von Gefangenen.

US-Marshall Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) und sein Kollege Chuck Aule (Mark Ruffalo) wurden hierher beordert, um die Flucht einer Kindsmörderin aufzuklären, die aus der verschlossenen Zelle spurlos verschwunden zu sein scheint. Aber schon bald wird klar, dass Teddy hier auch in eigener Sache ermittelt. Hinter den Mauern der Psychiatrie vermutet er nicht nur den Brandstifter, der am Tod seiner Frau Schuld ist, sondern auch ein militärisches Geheimprojekt, das an den Patienten neurologische Operationen vornimmt, um sie in willenlose Kampfmaschinen zu verwandeln.

Schließlich schreibt man das Jahr 1954. Der Kalte Krieg läuft auf Hochtouren und die traumatischen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg sind noch frisch. Daniels war als junger Soldat dabei, als die US-Armee das KZ-Dachau befreit hat. Die Bilder der Leichenberge verfolgen ihn genauso wie die der Erschießung des Wachpersonals, an der er beteiligt war. Übelkeit, Kopfschmerzen, Migräneattacken suchen den Ermittler heim, verweben Alptraum und Wirklichkeit immer dichter miteinander und treiben ihn langsam in den Wahnsinn dieses düsteren Ortes hinein.

In Shutter Island geht der besessene Cineast Scorsese ungezügelt in die Vollen. Krimi, Paranoia-Thriller, Horrorfilm, Psychodrama - die Genres verschmelzen hier zu einer ganz eigenen Legierung. Als Vorbild dienten unter anderem Robert Wienes expressionistischer Klassiker Das Cabinett des Dr.Caligari (1920), Jacques Tourneurs Film-Noir Goldenes Gift (1947) und Alfred Hitchcocks Suspense-Thriller Die rote Lola (1950).

Scorsese setzt auf kraftvolle, expressive Bilder, die immer mehr den Bezug zur außerfilmischen Wirklichkeit verlieren. Unheilverkündende Kontrabassklänge aus dem Off, düstere Wolken, die sich zu einem Hurrikane zusammenrotten, spärlich beleuchtete Katakomben, in denen animalische Gefangene hausen, ein Leuchtturm, der zum Austragungsort des finalen Showdowns wird, die Stirnfalten Leonardo DiCaprios, die sich immer tiefer in den Schädel zu graben scheinen - Scorsese beweist sich als exzessiver Gestalter eines paranoiden Mikrokosmos, spickt seinen Verschwörungsthriller mit Symbolen, Verweisen, falschen Fährten und taumelt dabei sinnestrunken oft am Rande der Überdosierung entlang.

Martin Schwickert

Shutter Island USA 2009 R: Martin Scorsese B: Laeta Kalogridis K: Robert Richardson D: Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Ben Kingsley