SHOOTING DOGS

Zweite Chance

»Hotel Ruanda« spielt jetzt in einer Missions-Schule

Don Cheadle spielte sich mit aufgerissenen, staunenden Augen vor zwei Jahren durch ein ziemlich anonymes Grauen in Hotel Ruanda. Die Hutu kamen, um die Tutsi abzuschlachten, der Weiße Mann und die UN gingen derweil einfach nach Hause. Hotel Ruanda war ein rührender, kein guter Film über persönlichen Mut und westliche Feigheit.
Shooting Dogs, fast zeitgleich entstanden und erst jetzt bei uns zu sehen, erzählt die gleiche Geschichte. Der Held ist jetzt weiß und hat das Knittergesicht von John Hurt, der als Priester in Afrika seine Schule zum Bollwerk gegen das Böse macht. Dank einer kleinen Truppe belgischer UN-Soldaten können Hunderte von Tutsi im April 1994 Zuflucht in Hurts Schule suchen. Auf UN-Befehl hin ziehen die Soldaten nach Tagen ab und überlassen die Tutsi ihrem Schicksal. Vor den Toren lauern bereits die Hutu-Milizen, die die Eingeschlossenen abschlachten werden. Geschossen haben die Soldaten nur auf Hunde, die sich draußen auf den Straßen an den Leichen zu schaffen machten. "Wir sollen den Frieden sichern, nicht ihn herstellen", sagt der UN-Soldat Dominique Horwitz.
Das sagte auch Nick Nolte als UN-Colonel in Hotel Ruanda, weshalb der Satz vielleicht wirklich gefallen ist, was den Film darüber nicht besser macht. Im Gegenteil: Regisseur Michael Caton-Jones (der direkt danach Basic Instinct 2 versiebte) inszeniert vor allem das Entsetzen des weißen Priesters darüber, dass die Neger jetzt auch weiße Priester und christliche Nonnen erschlagen. Den heftigsten Musikeinsatz im Film gibt's jedenfalls, wenn Priester Hurt seine geschundenen, vergewaltigten und ermordeten Mit-Schwestern findet. Man sieht dem Mann an: Danach ist Afrika für ihn erledigt.
Man darf keine frivolen Scherze mit dem Völkermord treiben. Aber vielleicht sollte man auch keine verlogenen Filme darüber machen. Der Genozid an den Tutsi war keine überraschende Wahnsinnstat durchgeknallter "Neger" (die in Hotel Ruanda und Shooting Dogs mit den Augen rollen wie in alten Tarzan-Filmen). Er war ein lange und vollkommen offen geplantes Massaker, über das Frankreich, Belgien und die UN rechtzeitig Bescheid wussten.
Man kann auch nicht sagen, dass die Welt tatenlos zusah.
Am 21. April zum Beispiel erklärte der UN-Kommandant General Dallaire, mit 8000 Soldaten könne er das Morden sofort beenden. Am selben Tag reduzierte der Sicherheitsrat die Zahl der UN-Soldaten auf 270. Erst Wochen später, als die Tutsi-Rebellenarmee aus Burundi einrückte (Burundi wird in beiden Filmen nichtmal erwähnt) und es den Hutu-Milizen an den Kragen ging, war die französische Armee plötzlich da. Sie trennte die Fronten und schuf einen Flucht-Korridor für die Hutu-Armee ins Nachbarland Zaire, das seither so kräftig destabilisiert wurde, dass britische, französische und US-Konzerne sich in aller Ruhe mit seiner Ausplünderung befassen konnten. Aus den Resten dieses Konfliktes bastelte John le Carré übrigens sein Buch Geheime Melodie.
Zu viel Politik, zu wenig Kunstkritik? Als Film ist Shooting Dogs unbeholfen und unbedeutend. Als Reflektion der Wirklichkeit - er prahlt damit, nach "wahren Ereignissen" gestaltet worden zu sein - ist er Ausdruck westlicher Selbstgefälligkeit: seht, wie wir an unserer Schuld leiden und dafür sorgen, dass sich nichts ändert. Heute wie damals vermeidet die UN den Begriff "Völkermord", der sie laut Satzung der Völkergemeinschaft zum Eingreifen zwingen würde. Im Sudan, in der Region Darfur, sollen bis jetzt 250.000 Menschen massakriert worden sein. Dagegen kann man nichts tun. Aber es wird in 10 Jahren bestimmt einen berührenden Film darüber geben. Vielleicht sogar zwei.

Thomas Friedrich

GB 2004. R: Michael Caton-Jones. B: David Wolstencroft. K: Ivan Strasburg. D: John Hurt, Hugh Dancy, Dominique Horwitz, Claire-Hope Ashitey. 114 Min.