Shanghai, Shimen Road Aufregende Zeiten Sehr persönliche Erinnerungen an Shanghai und die erste Liebe Es beginnt mit Schwarzweissfotos. Dazu erzählt eine männliche Stimme aus dem Off: "Ich habe immer gern fotografiert." Das Shanghai, das auf diesen Bildern zu sehen ist, wirkt wie eine Stadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Und dann schiebt sich langsam Farbe in eines der Bilder, das Foto verwandelt sich in einen Film, und wir sehen: Das ist Shanghai Ende der 80er Jahre. Der junge Xiaoli lebt bei seinem Großvater in einem der kommunistischen Wohnblöcke, wo sich alle Bewohner zum Kochen in einer Gemeinschaftsküche treffen. Wo die Türen immer offen stehen und jeder am Leben des Nachbarn teilnimmt. Xiaoli ist nicht nur leidenschaftlicher Fotograf, sondern auch in die schöne Nachbarin Lanmi verliebt, die im Laufe der Geschichte als Eintänzerin in einem der mondänen Hotels in Shanghai Arbeit finden wird. Die Nachbarin nutzt die Schwärmerei des Jungen recht gründlich aus, ohne an ihm wirklich interessiert zu sein. Lili hingegen, die neue Mitschülerin aus Bejing, ist sehr an Xiaoli interessiert. Und an den Studentenaufständen, über die man sehr wenig im TV und viel mehr im Radio zu hören bekommt. Die unglückliche Liebe in spannenden Zeiten, Pubertätserlebnisse in einer Gemeinschaft, in der man aneinander noch interessiert ist: Haolun Shu hat seinen Film atmosphärisch ein bisschen an Fellinis Jugenderinnerungen Amacord angelehnt. Im Mittelpunkt steht dabei die Shimen Straße, eine historische Siedlung, die wie ein Dorf in der Stadt wirkt. In dem Maße, wie Xiaoli die Grenzen der Straße überschreitet, öffnet sich der Film seinen größeren Themen. Westliche Kulturgüter wie Blue Jeans und Coca Cola werden selbstverständlicher. Als die Studentenrevolte 1988 von der Partei blutig niedergeschlagen wird, reagieren die Menschen resigniert. Immerhin kämpft Xiaolis Großvater noch immer darum, die Bilder ersetzt zu bekommen, die ihm während der "Kulturrevolution" vom Staat gestohlen wurden. "Aus einem Gefängnis kann man nicht weggehen", sagt der Großvater auf Xiaolis Frage, warum die Menschen sich immer so leicht fügen und anpassen würden. Der Film ist auf faszinierende Weise ungelenk und präzise, unbeholfen und anrührend. Der perfekte Sinn für Details, Licht und Szenenaufbau kontrastiert seltsam mit der manchmal wirren Kameraführung. Alles zusammen ergibt einen melancholisch-ratlosen Blick auf die eigene Jugend (der Regisseur wuchs in der Shimen Road auf) und wie man sie vertändelte. In den letzten Bildern, die wieder Schwarzweiß sind, erzählt Xiaoli aus dem Off, dass er viele Jahre später zurückgekommen sei und von seiner Straßen nur Ruinen vorgefunden habe. Wir sehen leerstehende, verfallene, halb abgerissene Häuser - ein Sinnbild nicht nur für Xiaolis Erinnerungen. Thomas Friedrich Shanghai, Shimen Lu China 2010 R & B: Haolon Shu K: Shu Chou D: Ewen Cheng, Xufei Zhai, Lili Wang, Shouquin Xu. 85 Min., OmU
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