SHAME Sex im Spiegel Steve McQueen findet Triebabfuhr eher unlustig Da liegt ein nackter Mann im Bett. Kaltes Licht liegt über ihm. Und ein halb verrutschtes seidenes Laken. Eine lange Zeit. Dann steht der Mann auf und geht aus dem Bild. Der Regisseur Steve McQueen kommt aus der bildenden Kunst, was sein Desinteresse an einer ordentlichen Exposition erklärt. Oder an einer Geschichte überhaupt. Es geht ihm viel mehr um den Look und das Gefühl, weniger um das Drama. Eher zufällig haben die meisten Bilder eine halbwegs handlungslogische Reihenfolge, offensichtlich absichtlich aber stehen viele quer dazu. Wie so viele Fensterscheiben, Spiegelflächen und halb durchsichtige Arrangements von viel Vordergrund mit im Hintergrund kaum erkennbarem Eigentlichen. Steve McQueens Film funktioniert wie ein zeitlich in die Länge gezogenes Gemälde. Vorher und Nachher, Grund und Folge, sind im Wesentlichen nur räumliche Koordinaten. Zwischen denen führt sich Brandon (Michael Fassbender) erstmal als Sexmaniac auf mit bestellten Nutten und Masturbation unter der Dusche, während auf seinem Anrufbeantworter eine hörbar unglückliche Frau nach ihm ruft. Dass sie seine Schwester ist, erfahren wir erst später, nachdem Brandon in spiegelnden Bürofluchten als leerer Charakter vorgeführt wurde. Er hatte nie eine Beziehung, die länger als vier Monate dauerte, er hat Internet-Pornos abonniert, und er fickt lieber lose Zufallsbekanntschaften als sich auf ein richtiges Kennenlernen einzulassen. Dass er dabei nicht glücklich ist, scheint er erst zu bemerken, als Sissy (Carey Mulligan) ungefragt bei ihm einzieht. Sie hat ein Problem, sie sucht einen Neuanfang und sie hat einen herzzerreißenden Auftritt als Sängerin. Diese Version von "New York, New York" ist so wunderbar verzweifelt, dass der Film sich schon jetzt gelohnt hat. Sissy stürzt sich voller Gefühl ins Leben, Brandon forciert als Reaktion darauf seinen Sturz in die Lust und beide gehen dabei unter. Gäbe es mehr Dialoge, der psychologisierende Kitsch wäre kaum zu vermeiden. Reduziert auf Fragmente und Andeutungen aber wirken die Bilder. Und übertünchen sowohl die Leere in Brandon als auch im Konzept. Denn dass bloß Sex im Spiegel zum Heulen ist, ist für eine 101 Minuten breite Projektionsfläche doch wenig. Wing UK 2010. R: Steve McQueen B: Abi Morgan, Steve McQueen K: Sean Bobbitt D: Michael Fassbender, Carey Mulligan, James Bagde Dale
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