»SHALL WE DANCE?«

Frau im Fenster

Tanzen macht frei

Sugiyama ist ein Bilderbuch-Japaner. Verheiratet mit einer liebenden Frau und gesegnet mit einer braven Tochter erarbeitete er sich dank seiner aussichtsreichen Stellung ein beschauliches Vorstadt-Reihenhaus inklusive Status als tüchtiger Bürger. Doch das disziplinierte Arbeiten und nüchterne Leben erfüllt ihn nicht, er ist unglücklich. Eines Tages, als er leicht betrübt wie gewöhnlich im Zug nach Hause fährt, entdeckt er sie: Im Fenster einer Tanzschule steht eine betörende Schönheit, gedankenverloren in die Unendlichkeit starrend. Jeden Abend erblickt er sie und schnell gerät die Anmutige zum Sinnbild all seiner Sehnsucht nach dem erfüllten Leben, nach Freude und nach Herausforderung. Tage braucht es, bis es Sugiyama wagt, aus dem Zug zu steigen und seinem aufgeregten Herzen bis zur Tanzschule zu folgen. Obwohl der Gesellschaftstanz in Japan moralisch verpönt ist und eher anzügliche Gedanken hervorruft, nimmt Sugiyama seinen Mut zusammen.
Herzergreifend ehrlich bebildert Regisseur Masayuki Suo seinen filmischen Seufzer nach Leidenschaft, Passion und Flucht vor dem Alltagstrott. Tanzen wird bei ihm auf äußerst amüsante Weise zum Wagnis des Lebens. Sein Held schlägt sich als Kleinbürgerrevoluzzer derart wacker, daß eigene tapfere Tanzschulen-Versuche plötzlich in ganz neuem Lichte erscheinen. Im Gegensatz zu vielen Tanzfilmvorgängern nämlich steht das Tanzen bei Suo nicht für einen Auswuchs perfekter Coolness, sondern für eine bedeutende soziale Komponente. Nicht Leistung zählt, sondern Freude, Geselligkeit und der Mut, zu sich zu stehen.

Oliver Baumgarten