»SHAKESPEARE IN LOVE« Jedem das seine
Der größte Dichter der Welt hat Potenzprobleme Wir schreiben das Jahr 1594 - und der junge Dichter schreibt wild entschlossen irgendetwas auf. Zerknüllt das Papier, seufzt herzzerreißend, schreibt erneut, knüllt erneut ... und seine verworfenen Werke landen in einer Souveniertasse mit dem Aufdruck "Stratford upon Avon". Das ist natürlich ein sehr heutiger Witz, denn zu Shakespeares Zeiten hatte sein Heimatort noch kein Fremdenverkehrsbüro. Und keinen berühmten Sohn. Und der noch nichtmal seinen Namen. "Shagesper, Shaksbeer, Sackschwer ..." William übt noch an der genialischen Signatur, statt an einem neuen Stück zu arbeiten. Das ist ein eher eingeweihter Witz. Denn so ganz sicher ist man heute nicht, wer eigentlich "Romeo und Julia" schrieb, wie der hieß und warum er Ehefrau und Kinder zuhause sitzen ließ, um in London in den Künstlerkneipen herumzuhängen. Oder Vorzimmerdamen von Theater-Intendanten zu begrabschen. Die Witze funktionieren trotzdem alle. Die platten Anspielungen auf erst in der Kino-Ära entwickelte Plot-Muster ("Folgen sie diesem Boot" bei einer Jagd über die Themse), die cleveren Seitenhiebe auf Schauspielereitelkeiten, Besetzungssofas und den wöchentlichen Kreativ-Termin beim Seelendoktor ("Wie steht's mit dem Geschlecht?" "Aus gutem Hause". "Nein, weiter unten mein' ich."). Will kann nämlich nicht mehr. Er braucht ein echtes Liebesabenteuer, um ein erfundenes zu schreiben. Und er kriegt eines, das Shakespeare fast so evtl. erdichtet hätte. Wenn Virginia um die Zeit schon entdeckt gewesen wäre. Dorthin will ein feister Adliger die fesche Viola als Braut mitnehmen. Die aber schleicht sich lieber in Männerkleidern ins Theater und wird als Romeo besetzt. Der Autor wiederum verliebt sich hoffnungslos in die unverkleidete Akteurin aus gutem Hause - eilige Umzüge folgen zu Hauf, die Frau muß Liebesbriefe als ihr eigener Bote befördern, und jede "echte" Szene gibt das Vorbild ab für einen neuen Schreib-Schub Shakespeares. Bis sie sich erkennen. Da führen Film-Autor (Tom Stoppard, mit Shakespeare-Rip-Offs groß gewordener Theater-Dichter) und Regisseur (John Madden, der seine cleveren Einfälle sehr natürlich aussehen läßt) Fakt und Fiktion, Bett und Balkon in einem langen Cross-Cut wunderbar zusammen. Die Bühne schreibt das Leben - und andersherum. Filmrealität und Theaterwirklichkeit verschmelzen ... Danach ist die Lust aber raus. Viel Volk und Witze treten noch auf, die Verdopplungen werden variiert, Hamlet-Material kommt vor und Scherze über Slasher-Fans ... Shakespeare in Love enthält mehr intelligente Anspielungen und Amüsement als ein normaler Theaterabend - jedoch auch simplen Kitsch. Bloße Effekte, garantierte Lacher, dramaturgisches Handwerk. Daß man das sieht, und erkennt, macht Spaß, aber es berührt nicht mehr. Egal, man unterhält sich prächtig. Und: was Peter Zadek im Stern schauerlich fand, kann ja gar nicht ganz schlecht sein.
WING
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