MEINE SCHWESTER

Sex hilft nicht

Catherine Breillats scharfer Blick auf zwei Pubertierende

Fettfleck", "Eimer", "Schlampe" - die Ausdrücke, mit denen Elena (Roxane Mesquida) ihre jüngere Schwester Anaïs (Anaïs Reboux) belegt, sind nicht gerade schmeichelhaft. Aber schon wenig später, wenn niemand mehr hinschaut, fallen die beiden sich in die Arme. Ziemlich genau in der Mitte des Films schauen die Schwestern in den Spiegel und zählen ihre Unterschiede auf. Elena, die spindeldünne Kindfrau mit blassem Teint und sorgfältig einstudierter, lasziver Eleganz - ganz das Gegenteil die plumpe Anaïs, die sich eine dicke Speckschicht angefressen hat, um besser gegen die Welt gewappnet zu sein. "Wir gleichen niemanden", sagt Elena, "es ist als hätten wir uns selbst geboren".
Intime Vertraute und erbitterte Rivalinnen sind die beiden füreinander. In der Pubertät kommt die Hassliebe zwischen Schwestern am deutlichsten zum Vorschein. Elena galoppiert voran, reißt in einem Café einen deutlich älteren Jurastudenten auf, während ihre Schwester missmutig hinterher trabt und als Anstandsdame und Ausgeh-Alibi für die Eltern herhalten muss. Als Elena im gemeinsamen Ferienzimmer widerstrebend ihre Unschuld verliert, liegt Anaïs mit dem Kopf zur Wand weinend im Bett.
Zwischen Romantik und Pragmatismus pendeln die Vorstellungen vom "ersten Mal", und die Entjungferung wird für beide eine Ernüchterung. Im Meer pubertärer Langeweile ist die erwachende Sexualität nur scheinbar ein rettendes Ufer.
Die französische Filmemacherin Catherine Breillat hat sich zuletzt mit ihrem Skandalfilm Romance als feministische Provokateurin einen Namen gemacht. Auch in Meine Schwester verweigert sie sich den romantischen Klischees, die sich die Männerwelt von der weiblichen Sexualität herbeiphantasiert.
Frei von Verklärungen, ist Breillat eine schmerzhaft genaue Studie über seelischen Zerwürfnisse weiblicher Pubertät gelungen, in die am Ende plötzlich, brutal und verstörend die Gewalt von außen hereinbricht.

Martin Schwickert

A Ma Soeur. F/I 2001. R&B: Catherine Breillat. K: Yorgos Arvanitis. D: Anais Reboux, Roxanne Mesquida, Libero De Rienzo