SCHMETTERLING UND TAUCHERGLOCKE

Nachrichten aus dem Koma

Julian Schnabel verfilmt die Memoiren eines Weggesperrten

Das Bild ist unscharf. Die Kamera tastet sich durch den Nebel. Langsam verschwinden die Schlieren und der Blick erfasst nur zögernd die ungewohnt neue Realität. Nach zwei Wochen wacht Jean-Dominique Bauby aus dem Koma auf. Ein Schlaganfall hat den früheren Chefredakteur des Modemagazins "Elle" im Alter von 43 Jahren in eine andere Daseinsform katapultiert.

Er ist bei vollem Bewusstsein, jedoch am ganzen Körper gelähmt, kann nicht mehr sprechen und nur noch das linke Augenlid bewegen. "Locked-In-Syndrom" nennen die Mediziner die seltene Form der Hirnschädigung.

Eingesperrt mit sich selbst im eigenen Kopf ohne Fluchtmöglichkeiten - eine höchst klaustrophobische Ausgangsposition hat sich Julian Schnabel für seinen Film Schmetterling und Taucherglocke ausgesucht. Das Drehbuch beruht auf einem Roman, den Bauby nach seinem Schlaganfall geschrieben hat - mit dem linken Augenlid.

Denn irgendwann, nachdem die Ärzte sich Tag für Tag vor seinem Krankenbett im nordfranzösischen Berck-sur-Mer ratlos versammelt haben, betritt eine Logopädin den Raum. Sie hat eine Tafel in der Hand. Darauf sind die Buchstaben in der Reihenfolge der Häufigkeit ihres Auftretens verzeichnet. Sie liest sie nacheinander vor und mit einem Lidschlag markiert der Patient den richtigen Buchstaben. In geduldiger Kleinarbeit wird so eine fragile Verbindung zur Außenwelt hergestellt.

Fast ausschließlich beschränkt sich Schnabel auf die Innenperspektive des gelähmten Patienten und daraus wird überraschenderweise ein geradezu mitreißendes filmisches Erlebnis. Ab und zu reißt die Kamera aus in die Traumwelten des Protagonisten, in denen er sich ein lustvolles Abendmahl herbeiträumt oder in die Geborgenheit der wohltätigen Spitalstifterin im 18.Jahrhundert flüchtet. Nur für einige kurze Augenblicke wird die Figur von außen betrachtet oder ihre Erinnerung in Rückblenden bebildert. Radikal auf sich selbst zurück geworfen, überdenkt Bauby sein Leben, die verpassten und verpatzten Chancen, an die Frau und die Kinder, die er verlassen hat, an die Geliebte, die es nicht über sich bringt, ihn zu besuchen, an den Kollegen, der an der alphabetarischen Kommunikation scheitert und an die Existenz als Hilfsbedürftiger, der der Ignoranz von Ärzten und Pflegepersonal wehrlos ausgeliefert ist.

Ohne Beschönigung und mit einem hohen Maß an Ironie beschreibt der Ich-Erzähler seine Situation. Dann wieder reichen drei Buchstaben auf der Tafel und deren Vervollständigung im Zuschauerkopf aus, um das Publikum zu Tränen zu rühren.

Selten hatte man im Kino das Gefühl, dass so schnörkellos und direkt über die Hardware des Lebens verhandelt wird. Ein Film, der einen durch sein radikal empathisches Konzept nicht nur berührt, sondern innehalten lässt - im eigenen Leben.

Martin Schwickert

Le Scaphandre et le papillon. F/USA 2007 R: Julian Schnabel B: Ronald Harwood K: Janusz Kaminski D: Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze