SCHATTEN DER ZEIT
Lange Liebe Ein indisches Melodram, made in GermanyLiebe ist eine Frage des Timings" hat der chinesische Filmemacher Wong Kar-Wei gesagt. Und die wirklich großen Liebesdramen der Filmgeschichte (wie Vom Winde verweht oder In the Mood for Love) zeigen, wie schwierig es ist, den Fluss der Zeit mit den schwankenden Emotionen der Menschen in Einklang zu bringen.
Ähnliches hatte wohl Florian Gallenberger in seinem ersten Spielfilm Schatten der Zeit im Sinn. Der Film erzählt von einem Jungen und einem Mädchen, die sich während der indischen Kolonialzeit in einer Textilfabrik kennenlernen. Die Eltern haben sie hierher verkauft, und nur wer eisern arbeitet und seinen Lohn beiseite legt, hat eine Chance, die Mauern des Manufaktur-Gefängnisses je wieder zu verlassen.
Als Masha an einen Mädchenhändler verkauft werden soll, opfert der junge Ravi seine ganzen Ersparnisse, um seiner Freundin die Freiheit zu erkaufen. Beim Abschied versprechen sie einander, bei Vollmond auf dem höchsten Shiva-Tempel der Stadt aufeinander zu warten.
Erst als erwachsener Mann kann sich Ravi selbst freikaufen. Aber im Menschengemenge Kalkuttas verpassen sich die Liebenden immer wieder um Haaresbreite.
Die Zeit vergeht. Die Lebenswege kreuzen sich. Die Gefühle geraten erneut in Wallung. Vernunft und Konventionen stehen dem Liebesglück im Wege und zögern ein Happy End bis ins hohe Alter hinaus.
In Schatten der Zeit begibt sich Gallenberger, der 2000 mit dem Kurzfilmoscar ausgezeichnet wurde, auf komplett unbekanntes Terrain. Der Film wurde in Indien mit einheimischen Schauspielern und in bengalischer Sprache gedreht.
Dabei strebt Gallenberger nach großen Kinobildern, die der frühere Wim Wenders-Kameramann Jürgen Jürges auch zu komponieren versteht. Im ersten Teil erschafft er eine dunkle Fabrikwelt, die gleichzeitig als Vorhölle und Ort der Geborgenheit ins Bild gesetzt wird. Im zweiten Teil erliegt Gallenberger jedoch mit unbeholfenen Anleihen an das Bollywood-Kino der Faszination des Folkloristischen.
Vor den politischen Aspekten seiner Geschichte schreckt Schatten der Zeit zurück. Die Härten der Realität von Kinderarbeit und Prostitution gehen in dem Konzept der totalen Ästhetisierung unter und dienen letztendlich als dramatischer Effektverstärker für den emotionale Hindernislauf.
Nichtsdestotrotz zeigt Gallenberger, dass er etwas besitzt, was vielen deutschen Filmemachern fehlt: der Wille zur visuellen Kraft. Auf seine nächsten Arbeiten darf man weiterhin gespannt sein.
Martin Schwickert
D 2004 R&B: Florian Gallenberger K: Jürgen Jürges D: Tannishtha Chatterjee, Prashanth Narayanan, Tillotama Shome
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