SCHAU MICH AN!


Bürger-Satire

Ein Blick hinter die Kulissen der Schickeria

Ausgerechnet Lolita musste ihr Vater sie nennen. Anfang Zwanzig ist die pummelige Tochter des berühmten Schriftstellers Etienne Cassard (Jean-Pierre Bacri), und die Welt ist ihr Feind. "Hoffentlich passe ich überhaupt in die Umkleidekabine rein", sagt Lolita (Marilou Berry) beim Shoppen mit der Stiefmutter, bevor sie sich in das knallrote Top hineinzwängt.
Die Mauerblümchenexistenz hat sich tief eingeschrieben in ihren Blick, ihre Haltung und ihren Körper. Niemand beachtet Lolita, bis ihr Nachname fällt. Dann horchen die Ignoranten auf. Alle verehren Cassard, den erfolgreichen, gut aussehenden und restlos von sich selbst überzeugten Schriftsteller. Alle bis auf Lolita.
Um diese ungleiche Vater-Tochter-Beziehung gruppiert Regisseurin Agnès Jaoui (Lust auf anderes) in ihrer neuen Komödie Schau mich an! einen buntes Figurenarsenal aus dem kriselnden französischen Bildungsbürgertum. Da ist Cassards Frau Karine (Virginie Desarnauts), kaum älter als ihre Stieftochter und vornehmlich mit Kindererziehung und Diätplänen beschäftigt. Da ist die strenge Gesangslehrerin Sylvia (Agnès Jaoui), die Lolita unterrichtet und erst beachtet, als sie erfährt, wer ihr Vater ist. Und ihr Mann Pierre (Laurent Grevill), ein erfolgloser Autor, der mit Cassards Unterstützung zum Star der Pariser Literaturszene aufsteigt.
Mit genauem Blick und messerscharfen Dialogen seziert Agnès Jaoui die Machtstrukturen und die verzweifelten Kämpfe um Anerkennung in der französischen Kulturschickeria. Ihre Pseudoliberalität, ihre Selbstgefälligkeit und ihre Ignoranz gegenüber den eigenen Kindern.
Das alles gelingt Agnès Jaoui, die als Drehbuchautorin für Alain Resnais ihre Karriere begonnen hat, mit scheinbar leichter Hand und ohne die Figuren an billige Klischees zu verraten.
Jean-Pierre Bacri, der auch am Drehbuch mitgearbeitet hat, zeichnet ein beißendes Porträt des narzisstischen Intellektuellen. Jeder Blick, jede Geste und jeder Satz sitzen an der richtigen Stelle. Hochvergnügt und bitterböse präsentiert sich diese fein gearbeitete Komödie, die sich trotz pointenreicher Wortgefechte eine aufrichtige Liebe zu ihren Figuren bewahrt hat.

Martin Schwickert
Comme une Image F 2004 R: Agnès Jaoui B: Agnès Jaoui, Jean-Pierre Bacri K: Stéphane Fontaine D: Agnès Jaoui, Jean-Pierre Bacri,