SAVING MR. BANKS

Spellbound

Walt Disney legt sich auf die Couch mit Mary Poppins

Zwei ganz Große geraten hier aneinander, Tom Hanks und Emma Thompson als Walt Disney und P. L. Travers.

Wer?

Im deutschen Sprachraum ist Travers als Mutter von Mary Poppins weithin unbekannt, im englischen gilt sie als beliebteste Kinderbuchautorin des letzten Jahrhunderts. Und als Stinkstiefel. Immerhin weigerte sie sich 20 Jahre lang, ihr weltberühmtes erstes Buch verfilmen zu lassen. Und verlangte noch am Premierenabend des dann doch unter ihrer Mitwirkung entstandenen Disney-Musicals, die Zeichentrick-Passagen müssten raus. Trotz des Erfolgs der ihr verhassten Version untersagte sie die Verfilmung ihrer übrigen Bücher.

Das klingt nicht wie eine Geschichte, die Disney verfilmen würde. Aber bei den Drehbuchautorinnen Kelly Marcel und Sue Smith liest sie sich so, als habe gerade der bunte, singende Disney-Film damals eine früh verknöcherte englische Lady auf den Flügeln der Fantasie befreit. Vorübergehend. Sozusagen durch die Augen der Maus sehen wir hinter das hochgeschlossene Kostüm der britischen Gouvernante. Und entdecken ein trauriges Mädchen im australischen Outback, dessen Vater sich zu Tode säuft und die Inspiration hinter allem ist.

Ganz großartig zickt sich Emma Thompson als verbittert erwachsen gewordenes Mädchen durch die Avancen des Weltmeisters des Sentiments und darf sogar ein paar dunkle Stellen entdecken. Einmal ertappt sie Walt beim Rauchen, einmal fällt ihr im quietschvergnügten Disneyland ein stiller Winkel auf, in dem offenbar der Firmenchef seines Vaters gedenkt. Überhaupt ist alles wundervoll ausgewogen. Briten und Amerikaner bringen einander etwas bei, Chefs machen auch Fehler, Chauffeure machen weise Bemerkungen und mit einem Stücken Zucker schmeckt die bitt're Medizin ... tralala.

Schließlich begreift der im Herzen Kind gebliebene Erzkapitalist Disney, dass Mary Poppins für P.L. Travers mehr ist als bloß eine Fantasiefigur. Er findet heraus, was wir längst ahnen, nämlich dass sie unter Pseudonym schreibt, tatsächlich Helen Goff heißt und aus Australien stammt. Disney besucht sie in London und hat ein therapeutisches Gespräch mit ihr. Und gerührt lernen wir, dass eine ordentliche Lüge manchmal das Leben rettet, dass freie Fantasie viel Arbeit ist, und dass Onkel Walt sich schon kümmern wird.

Wäre es nicht Disney, wäre nicht alles so makellos gemacht, bis hin zur Adaption der Original-Musik zum unaufdringlichen Soundtrack, und spielten Farrell, Hanks und Thompson nicht gar so gut, man könnte skeptisch werden. Dichtet sich da nicht bloß ein Kindesentführer gute Absichten an? Und der beraubten Mutter eine Vatermordverdrängung? Schließlich kam Disneys Mary Poppins zur gleichen Zeit heraus wie Hitchcocks Marnie, und P.L. Travers mag rot genau so wenig wie Tippi Hedren. Aber vielleicht ist das auch nur Streit um den Schnurrbart von Mr. Banks. Der echte hatte keinen.

Wing

USA 2013. R: John Lee Hancock B: Kelly Marcel, Sue Smith K: John Schwartzman D: Emma Thompson, Tom Hanks, Colin Farrell, Paul Giamatti. 125 Min.