»WELCOME TO SARAJEVO«

Be happy

Der "Fitz"-Regisseur Michael Winterbottom zieht in den Krieg

Schon die Idee, über das belagerte Sarajevo einen Spielfilm zu machen, scheint zum Scheitern verurteilt. Vier Jahre lang dauerte der Kampf um die belagerte Stadt, und vier Jahre lang flimmerten nahezu täglich immer schrecklichere Bilder über die Fernsehapparate der Welt. Bis in die letzten Winkel leuchteten die omnipräsenten Fernsehteams das Schlachtfeld aus, gleichzeitig wurde Sarajevo das beste Beispiel dafür, daß mit der steigenden Bilderflut die Gleichgültigkeit des ausländischen Publikums (und ihrer Politiker) eher gefördert als vermindert wurde. Gerade der Sensationsjournalismus provozierte die Abstumpfung und Ignoranz der internationalen Öffentlichkeit.
Nicht umsonst nimmt Michael Winterbottoms Welcome to Sarajevo die Arbeit eines Nachrichtenkorrespondenten zum Ausgangspunkt der Erzählung. Der britische Journalist Michael Handerson (Stephen Dillane) hat als Berichterstatter in den Krisenregionen der Welt hinreichend Erfahrung gesammelt. Trotzdem wirft ihn dieser Krieg, der vor allem Zivilisten zur Zielscheibe von Heckenschützen und Granatenangriffen macht, aus dem professionellen Trott. Mit seinen Kollegen der internationalen Presse haust er im zerbombten "Holiday Inn", tagtäglich rückt der gesamte Journalisten-Tross nach jedem Angriff aus, um immer neuere Bilder von blutigen Massakern einzufangen. Abends sitzt man in der abgedunkelten, heruntergekommenen Hotelbar zusammen und tauscht schwarzhumorig die Stories aus. Als Handerson mit seinem Kameramann ein Waisenhaus direkt an der Frontlinie besucht, verändert sich seine Berichterstattung merklich. Statt täglich neue blutige Sensationen zu präsentieren, berichtet er regelmäßig über das Kriegsgeschehen aus der Perspektive dieses Waisenhauses. "Das ist keine Berichterstattung, das ist eine Kampagne", kommentiert seine Produktionsleiterin. Handerson setzt sich für eine Evakuierung der Kinder ein und gibt Emira, einem 12jährigen Mädchen, das unüberlegte Versprechen, sie aus Sarajevo herauszuholen. Als schließlich ein kleiner Konvoi mit Kindern Sarajevo verlassen kann, beschließt Handerson, Emira illegal mit nach London zu nehmen. Wenig später taucht jedoch Emiras Mutter wieder in Sarajevo auf und verlangt, daß ihre Tochter wieder zurückkommt
Das ist der Stoff, aus dem politisch unterlegte Schnulzen gemacht werden. Aber Michael Winterbottom erzählt diese Geschichte hundertprozentig unsentimental: keine pathetisch inszenierten Gewissenskonflikte, keine moralischen Statements, kein journalistisches Heldenepos wie etwa der Genre-Klassiker Under Fire . Vielmehr ist die Figur des Journalisten nur der Ausgangspunkt, um eine Vielzahl von kleineren Geschichten aus dem Leben der belagerten Stadt zu erzählen. Davon z.B. daß Eier wie Juwelen gehandelt werden und daß ein Omelette Grund genug für ein Fest ist. Davon daß man seine Bücher verbrennen muß, um morgends einen heißen Kaffee zu bekommen.
Welcome to Sarajevo verzichtet weitgehend darauf die Gewalttätigkeit des Krieges nocheinmal zu inszenieren und blendet stattdessen Dokumentaraufnahmen aus den Jahren der Belagerung ein. Hier findet man die Bilder wieder, die man am Bildschirm an sich vorbeiziehen ließ, und in diesem fiktionalen Kontext kann man sich ihnen nicht mehr entziehen. Auch Politiker werden zitiert, etwa ein UNO-Sprecher, der zum besten gibt, daß Sarajevo auf der Liste der gefährlichen Städte nur an 14.Stelle rangiert. Immer wieder erinnert Winterbottom mit dokumentaren Filmschnipseln auch an die Vorkriegszeit, in der Sarajevo eine blühende, kosmopolitische Metropole war. Auch die Musik scheint aus einer anderen Zeit: "Don't worry be Happy", "Shine on" oder "Happy Birthday" dudeln aus den Lautsprechern. Das ist nicht zynisch gemeint, sondern signalisiert eher den Überlebenswillen in einer ausweglosen Situation und bewahrt die Geschichte vor Überdramatisierungen. Mit Welcome to Sarajevo ist Michael Winterbottom gelungen, was nur wenigen gelingt: politisch engagiertes Kino, berührend und ganz ohne pathetische Zwischentöne.

Martin Schwickert