»DER SOLDAT JAMES RYAN«

Andere Helden

Knietief im Blut der Geschichte

Die "Stars & Stripes" flattern lichtdurchflutet im Wind, ihre Farben sind blaß, die Konturen schemenhaft - aller Glanz dahin. So beginnt Spielbergs Relativierung des amerikanischen Strategie- und Taktikmythos' "D-Day", der Invasion in der Normandie 1944. Die ersten knapp 30 Minuten sind das Bewegendste, Gräßlichste, Klaustrophobischste und Erschütterndste, was je ein Film über den Krieg zu zeigen vermochte: gnadenlos distanzlose Großaufnahmen der zitternden, jammernden, kotzenden Soldaten, die in der Enge eines Landungsbootes der Ungewißheit harren. Die Landungsklappe fällt, und endlose Gewehrsalven zerfetzen die völlig überraschten Soldaten. Die Handkamera fällt ins Wasser und rettet sich mit den Soldaten vor dem ohrenbetäubenden Kugelhagel deckungsuchend an Land. Einem 30minütigen Adrenalinstoß gleich hechelt sie schutzlos durch den Sand, während links und rechts die Soldaten wie Schlachtvieh verrecken. So wie diesen, gönnt Spielberg auch seinen Zuschauern kein Entrinnen, keine Panorama-Einstellung, kein ablenkender Zwischenschnitt.
Statt dessen das dumpfe Dröhnen der Geschosse, grelle Schreie der gräßlich Verstümmelten, Blut, Dreck. Es wird deutlich wie nie: Welcher Soldat den Krieg überlebt und wer nicht, ist nichts als ein launiger Zufall, eine Lotterie des Schicksals.Das Resultat eines solchen Zufalls wird James Ryan zuteil, dessen drei Brüder während der Invasion sterben und der nun als einziger Sohn zu seiner Mutter heimkehren soll. Captain Miller wird befohlen, Ryan hinter den feindlichen Linien aufzustöbern. Acht Männer riskieren ihr Leben, um eines zu retten - eines, das einer PR-Aktion dient.Figuren wie der von Tom Hanks dargestellte Captain Miller sind keine erfahrenen "Front-Schweine" wie Steiner, die wagemutig alles ummähen und damit sogar noch heroische Sympathien einheimsen. Miller ist ein gebrochener Mann. Sein Heldentum ist nichts weiter als ein Nebenprodukt der Angst.Es ist müßig, über die Realitätsnähe eines Films zu diskutieren. Der Soldat James Ryan ist in erster Linie Fiktion, genial und mit beispielloser Härte umgesetzt.

Oliver Baumgarten