RESSOURCES HUMAINES

Der Fragebogen

Wie man sicht wehrt und warum.

Irgendwo in der französischen Provinz. Papa schuftet seit 30 Jahren als Maschinenschweißer in der Fabrik. Seinem Sohn Frank hat er damit ein Studium in Paris ermöglicht. Jetzt kommt Frank zurück, um in Papas Firma ein Praktikum zu machen, als Assistent des Personalchefs. Papa legt Wert darauf, dass der Sohn in der Mittagspause nicht an seinem Tisch in der Ecke der Arbeiter, sondern an dem der Chefs sitzt, bei den Anzügen also, nicht bei den Blaumännern. Sonst, sagt Papa, haben die anderen keinen Respekt vor dir.
Frank gerät als Zuhörer in die Verhandlungen zur 35 Stunden Woche, an deren Umsetzung die Gewerkschaften beteiligt werden müssen. Die Firma hat im letzten Jahr bereits 22 Leute entlassen, die Gewerkschaft will verhindern, dass jetzt ähnliches passiert und blockt erstmal alles ab. Um diese Blockade zu umgehen, schlägt Frank seinem Chef arglos vor, einen Fragebogen unter den Arbeitern zu verteilen: Was halten Sie von der 35 Stunden Woche? Der Chef ist begeistert, die Gewerkschaften sind skeptisch.
Bald wird Frank gelernt haben, dass es kein richtiges Leben im Falschen gibt: Sein Fragebogen dient der Firmenleitung als Hebel, um die blockierten Verhandlungen zu umgehen. Und plötzlich sollen wieder 12 Leute entlassen werden. Frank wechselt empört die Seiten - zum Entsetzen seines Vaters.
Ressources Humaines enthält keine Musik und keine Liebesgeschichte, Laurent Cantets Debut-Film hat nicht mal ein richtiges Ende. Er guckt seinen Protagonisten beim Leben und beim Denken zu. Wie entwickelt man einen Klassenstandpunkt, wenn der eigene Vater sich schämt, ein Arbeiter zu sein? Wie hält man es jahrzehntelang an einer Maschine aus, die absolut stumpfsinnige Bewegungs- und Arbeitsabläufe erzwingt?
Von den ersten, etwas mühsamen 10 Minuten abgesehen hat Cantets Film hohe Spannungsqualitäten. Das liegt auch an den gut entwickelten Figuren. Noch die kleinste Nebenrolle ist glaubwürdig und gut besetzt und stützt die Handlung. Trotz der scheinbar zufällig gefundenen Bilder erspart uns Cantet dabei die sonst übliche Wackelkamera. In meist ruhigen Bildern entwickelt er seine Szenen. Und seinen Standpunkt. Wenn man aus dem Kino kommt, möchte man sich am liebsten einen Fabrikdirektor suchen, um ihn an der nächsten Laterne aufzuknüpfen.
Das ist zwar, auch in Frankreich, gegen das Gesetz, aber es sagt etwas aus über die emotionale Wirkung dieses kleinen Films.

Thomas Friedrich

F 2001. R: Laurent Cantet. B: Laurent Cantet, Gilles Marchand. K: Matthieu Poirot Delpech, Claire Caroff. D: Jalil Lespert, Jean Claude Vallod, Cantal Barre, Lucien Longueville; OmU