RESIST!

Wo's wehtut
Eine Dokumentation über das »Living Theatre«

Für die gelebte Utopie!" ist ein Leitsatz des jüdisch-multikulturellen Living Theatre. Doch um Theater im klassischen Sinne handelt es sich hier gar nicht. Die Mitglieder der Gruppe sind keine Schauspieler, es gibt keine Bühne und auch kein Textbuch. Die Straße ist die Bühne, und die Drehbücher schreiben Politik und Gesellschaft. So protestieren die "Living People" gegen die Kreuzzugpolitik der USA, die Globalisierung, die Todesstrafe, den Krieg und gegen Unmenschlichkeiten überhaupt. Die Aktionen gegen Hass und Gewalt finden da statt, wo's wehtut und wo Aufsehen erregt werden kann: am Ground Zero, beim G8-Gipfel in Genua, im ehemaligen libanesischen Strafgefangenenlager Khiam.
Die artifiziellen Protest-Aktionen (Choreographien gegen Unterdrückung, Schrei-Chöre gegen Todesstrafe) fallen auf, bleiben jedoch immer friedlich, was die anarcho-pazifistische Motivation der seit fünf Jahrzehnten bestehenden Gruppe widerspiegelt.
Der Berliner Film- und Theaterregisseur Dirk Szuszies hat das Living Theatre für seinen Dokumentarfilm zu politischen Brennpunkten begleitet, Zuschauerreaktionen festgehalten und auch Teile des Privatlebens der mittlerweile in Italien lebenden Gruppe beleuchtet. Zwischen Aufnahmen verschiedener aktueller Living-Aktionen mischen sich kurze Interviews mit Judith Malina und neuen, jungen Gruppenmitgliedern. In loser Reihenfolge werden zudem Archiv-Aufnahmen von Aktionen gezeigt, in denen der bereits verstorbene Mitbegründer und Ehemann von Malina, Julian Beck, noch mitwirkte, beispielsweise die Nachstellung einer menschenunwürdigen "Aufnahmeprüfungö bei der Marine.
Rein beobachtend erklärt Szuszies Film dem Zuschauer die Arbeit der Gruppe, ohne eine eigene Meinung oder andere Perspektiven einzubringen. Eine dramturgische Auflockerung, wie sie zuletzt häufiger in politischen Dokumentarfilmen (Fahrenheit 9/11, Supersize me) zu sehen war, braucht man hier nicht zu erwarten. Langweilig wird Resist! dadurch nicht, vielleicht ist es auch Michael Moores Schuld, dass man von Dokus inzwischen mehr erwartet als reine Berichterstattung. Vor dem Hintergrund bekommt die Machart des Films jedenfalls etwas bieder-braves, ganz im Gegensatz zum Thema, das behandelt wird. Manchem mag aber auch die Gruppe, deren auf 35mm gedrehtes Lebenswerk bei Veranstaltungen wie dem Internationalen Jüdischen Filmfestival und der ATTAC-Sommerakademie reüssierte, mit ihren Aktionen ein Gähnen ins Gesicht zaubern. Der Gedanke an 70er-Jahre-Hippies liegt nicht fern, und bei vielen Jugendlichen, die vor dreißig Jahren noch begeistert gewesen wären, ist diese Art von Protest mittlerweile sowas von durch, dass sie sich gelangweilt abwenden. Dass mit dem deutsch-belgischen Film neue Wiederstandskämpfer gewonnen werden, ist somit eher unwahrscheinlich. Doch wer sich schon immer für das Living Theatre und dessen Ziele und Ursprünge interessierte, wird hier bestens versorgt.

Michaela Sommer
B/D 2003 R+B: Dirk Szuszies, Karin Kaper. K: Dieter Vervuurt, OmU