RENN, WENN DU KANNST

Abenteuer im Rollstuhl

Keine Behindertenkomödie, kein Liebesmärchen, aber ein schöner Traum aus Duisburg

Ben ist ein Arschloch. Querschnittgelähmt und missmutig sitzt er in seinem Rollstuhl und malträtiert am liebsten Zivis. Einen bringt er gar dazu, auf seinen Schreibtisch zu klettern und ein kleines Schiff unter die Decke zu hängen. Das ist wohl als poetisches Bild gedacht, denn Regisseur Dietrich Brüggemann verwendet später Wasser und Meer noch häufiger. Der Zivi stürzt bei der Aktion zertrümmernd ab und bricht sich fast den Hals. "Du hast gerade meinen Computer kaputt gemacht" kommentiert Ben ungerührt, und Brüggemanns Film lässt keinen Zweifel daran, dass er sich was traut.

Christian ist der neue Zivi und findet gleich die richtigen Widerworte für Ben. So fangen Freundschaften an. Annika schließlich studiert Cello, trägt es als Rucksack auf dem Fahrrad mit sich herum und stößt gleich ersten Tag vor Bens Wohnblock mit Christian zusammen. So fangen Dreiecksgeschichten an.

In einer wunderlichen Mischung aus Mainstream-Formel und Ruhrgebietspoesie gleitet das Trio, meistens nachts, durch Häuserschluchten bis hinauf zum Tetraeder bei Bottrop, und zur Not auch mal per Auto einer U-Bahn hinterher. Bruchlos gehen Märchenpassagen in manchmal quälenden Realismus über, wenn etwa Ben und Annika im Bett landen. "Kannst du mal gucken, ob sich da unten was tut? Der Urinschlauch muss auch erst weg."

Das kann nicht gut gehen, aber es wird noch viel schöner. Dietrich Brüggemann, der das Drehbuch mit seiner Schwester und Hauptdarstellerin Anna Brüggemann schrieb, hat keine Angst vor ganz großem Kino. Da hauen sich die Kerls wie im Western, da wächst das Mädel, hin und her getrieben, zum großen Solo beim Konzert, da brechen alle zu dritt im Eis ein, und Ben kommt beinahe auf eigenen Beinen in den Himmel.

An manchen Stellen wollte das Drehbuch offenbar mehr, als die Regie nachvollziehbar umsetzen konnte, aber die Kamera reißt vieles raus. Und wenn die drei auf dem Balkon sitzen und Zigarettenkippen in die Nacht werfen, weil grad keine Sternschnuppen zu sehen sind, möchte man sich sofort dazu setzen.

Wing

D 2009 R: Dietrich Brüggemann B: Dietrich und Anna Brüggemann K: Alexander Sass D: Robert Gwisdek, Anna Brüggemann, Jacob Matschenz