DER FALL WILHELM REICH

Jenseits von Sex

Das Drama eines verkannten Orgasmus-Analytikers

Neulich zwangen Geheimdienstmitarbeiter einen britischen Chefredakteur, eigenhändig die Computer zu zerstören, auf denen längst veröffentliche Daten über Geheimdienstumtriebe gespeichert waren. Genau dieselbe Szene kommt gegen Ende von Der Fall Wilhelm Reich vor, nur spielt sie im Amerika der 1950er, und Wilhelm Reich muss seine "Orgon-Akkumulatoren" zerhacken, obwohl die wissenschaftliche Einheitsmeinung sie für medizinisch nutzlos hält.

Allein diese Dopplung macht den Film aufregender als er je sein wollte. Eigentlich hatte Antonin Svoboda nur seine eigene TV-Dokumentation "Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?" zum Spielfilm umgeschrieben und ließ Klaus Maria Brandauer den umstürzlerischen Exzentriker Reich als menschen- und naturfreundlich alternden Propheten spielen.

Wilhelm Reich war mal berühmter als Gott, Freud und Kinsey zusammen. Ohne Wilhelm Reich gäbe es heute die halbe Esoterik nicht und die körperorientierten Schulen der Psychotherapie auch nicht. Als junger Mediziner überwarf sich Reich mit seinem Doktorvater Freud, als Sexualtherapeut kriegte er Krach mit der kommunistischen Partei, und als Ex-Kommunist hatte er im amerikanischen Exil ständig Ärger mit dem FBI. 1957 starb er unter ungeklärten Umständen im Gefängnis, in das ihn die Gesundheitsbehörde sperren ließ, weil er mit seinen "Orgon-Akkumulatoren" jenseits der Schulmedizin alles von Kinderlosigkeit bis Krebs behandelte.

Vielleicht aber auch, deutet Antonin Svoboda an, weil eine Regierungsverschwörung, die an Gedankenkontrolle und Gehirnwäsche arbeitete, Konkurrenz durch den seltsamen Zauberer fürchtete. Seine Idee von der alles durchdringenden Lebensenergie, die im Orgasmus am deutlichsten pulsiert und in der Radioaktivität entartet auftritt, verunsicherte Mediziner, Militärs und Moralisten. Elektroschocks hielt man weithin für natürlicher als den Gedanken, Schizophrenie mit Massagen beikommen zu können.

Was genau sich aber Reich eigentlich dachte, kommt auch im Film nicht heraus, selbst wenn es irgendwo mal blau glüht oder unter einem Mikroskop pulsiert. Brandauer darf gedankenschwer eine Menge Andeutungen machen, muss aber strikt jede Überbetonung des Sex vermeiden. Und von den Ufos, an die Reich fest glaubte, ist gar keine Rede. Lieber stellt Svoboda Herrn Brandauer in die wolkenverhangene Landschaft, lässt ihn mit einem Reichschen "Cloud-Buster" herummachen und dann deuten alle begeistert in den Himmel, man könne jetzt die Sonne sehen.

Dankenswerterweise zeigt Svoboda uns die Sonne dann aber nicht. Zwar wollte er ausdrücklich einen Propagandafilm für Reich und gegen seine Feinde drehen, nicht aber unbewiesene Effekte herbeilügen. Außer so deutlich wie im Schlussbild, wenn die Nachricht vom Tode Reichs als Schrift-Insert auf der Gefängnismauer abläuft, sich nach einem Schwenk das Gitter öffnet und eine einsam wandelnde Gestalt schon fast den Horizont zwischen Wiese und Wald erreicht hat.

Wing

A 2012 R: Antonin Svoboda B: Antonin Svoboda, Rebecca Blasband K: Martin Gschlacht D: Klaus Maria Brandauer, Julia Jentsch, Birgit Minichmayr