DAS WEISSE RAUSCHEN

Viele Stimmen

Ein engagierter Debutfilm über Schizophrenie

Auch im selbstzufriedenen deutschen Förderkino gibt es noch Filme, die etwas wollen, denen ihr Thema am Herzen liegt, denen man anmerkt, dass sie gemacht werden mussten. Hans Weingartners Kinodebüt Das weiße Rauschen ist so ein Film.

Das weiße Rauschen - so nennen die Akustiker ein Geräusch, das aus allen nur möglichen Frequenzen besteht, die sich schließlich gegenseitig aufheben. Eine perfekte Stille, die alles in sich vereint. Lukas (Daniel Brühl) sucht dieses Geräusch. Eine Stimme in seinem Kopf trägt es ihm auf. Davon hat Lukas viele und alle reden sie durcheinander. Lukas ist schizophren, sagen die Ärzte später. Aber erst einmal weiß niemand, was mit ihm los ist. Weder seine Freunde, noch er selbst. Nach der Schule ist das Landei aus dem Sauerland zur großen Schwester in die Kölner WG gezogen. Mit großen Augen bestaunt er das Großstadtleben, auch wenn er schon bei der Ankunft am Bahnhof etwas überfordert wirkt. Bauzäune, Presslufthammer, Menschengedränge - da kann schon mal Panik aufkommen. Das ist normal. Ganz normal beginnt auch sein erstes Date mit einer Partybekanntschaft. Am Telefon freut er sich wie ein Schneekönig. Dann vor dem Kino erfährt er, dass statt Taxi Driver Rebecca läuft und diese Programmänderung wirft ihn völlig aus der Bahn. Daniel Brühl spielt diesen Umkipp-Punkt zum Wahnsinn derart nuanciert, dass man das Gefühl hat, ihm direkt ins Hirn schauen zu können. Man sieht förmlich, wie sich der Kabelbrand im Kopf langsam ausbreitet und das ganz ohne berserkerhaftes Overacting. Das weiße Rauschen überzeugt durch die Genauigkeit, mit der er sein Thema behandelt. Mit Selbstmordversuch, geschlossener Psychiatrie, Tranquilizer und mühsamer Wiedereingliederung ins normale Leben macht Lukas ein typisches Schizophrenen-Schicksal durch. Aber Hans Weingartner erzählt seine Geschichte nicht als Trauerspiel, sondern versucht, die Krankheit mit all ihren tragischen und faszinierenden Aspekten zu verstehen. Immer wieder folgt der Film dem Wahnsinn mit stimmenüberfrachteter Tonspur und verliert trotzdem nie den Kontakt zur sozialen Realität. Die Handkamera streift durch verkeimte WGs und verkiffte Küchenpartys und zeigt auch die Überforderung, die Lukas im lockeren Studentenleben seiner Freunde auslöst. Das weiße Rauschen wurde als Low-Budget-Produktion auf DV gedreht. Hans Weingartner versteht es, die Spontaneität und Beweglichkeit des Materials für sich zu nutzen, ohne sein Sujet aus dem Auge zu verlieren. Seit Hans Christian Schmids 23 hat man keinen deutschen Film mehr gesehen, der sich so weit vor wagt und gleichzeitig so nah dran bleibt am Herzschlag des Wahns und dem Puls der Zeit.

Martin Schwickert

D 2001 R: Hans Weingartner B: Hans Weingartner, Tobias Mann K: Matthias Schellenberg D: Daniel Brühl, Annabelle Lachatte, Patrick Joswig Start