FREE RAINER Quotentod
Eine Satire über Kultur, TV und Medienfuzzis Kein Mensch ist so blöd, wie die Shows, die wir machen" schreit der TV-Produzent den Chef des Senders an. Moritz Bleibtreu spielt diesen an sich selbst verzweifelnden Fernsehmann, einen verkoksten Zyniker, der im Delirium auch schon mal sein Cabriolet mit dem Baseballschläger traktiert. Aber dann rast ein Geländewagen in seine Fahrertür und beschert dem selbstgefälligen Medienvertreter, der mit stupiden Game-Shows und Billigserien so hartnäckig an der Verblödung des Publikums arbeitet, ein moralisches Schleudertrauma, von dem er sich nicht wieder erholt. Zusammen mit Pegah (Elsa Sophie Gambard), die den Fernsehmann mit dem Auffahrunfall final entsorgen wollte, will er die heilige Kuh der deutschen Unterhaltungsindustrie schlachten: Die Quote. Nur 5.500 Haushalte sind es, die über das Schicksal des Fernsehpublikums entscheiden. Über die sogenannte "Quotenbox" wird das Zapping-Verhalten ermittelt und auf die rund 34 Millionen TV-Haushalte hochgerechnet. Die beiden machen sich mit einer illustren Gruppe von Langzeitarbeitslosen daran, die Geräte auszuwechseln, um die Quoten zu manipulieren, und lösen damit eine kleine Kulturrevolution im Lande aus. Die Einschaltergebnisse von "Mein neuer Traumkörper" fallen in den Keller, während Fassbinder-Filme und Reportagen über das alte Ägypten plötzlich Rekordquoten erzielen. Die Sender reagieren panisch und stellen ihr Programm auf Qualitätsfernsehen um. Das Land erlebt einen Sommer des kulturellen Erwachens. Mit sanfter Ironie zeichnet Weingartner sein Wunschbild einer geistig befreiten Gesellschaft, in der auf offener Straße hitzige Debatten über politische Magazin-Sendungen entstehen und die Menschen nicht mehr nur zu Hause vor der Glotze abhängen, sondern sich zur kollektiven Buchlektüre auf sonnigen Parkwiesen treffen. TV-Geräte landen auf der Straße. Die Fernbedienung wird zum Hundeknochenersatz. Die Satelliten-Schüssel dient spielenden Kindern als Ritterschild. Weingartner erweist sich wieder als politischer Romantiker. Gerade diese utopische Energie ist es, die den politischen Abenteuerfilm auch über so manche Schwäche hinwegträgt, etwa die ungelenke Liebesgeschichte oder die allzu trashig inszenierte Traumsequenz, die Rainers Wandlung vom Saulus zum Paulus erklären soll. Free Rainer ist sicherlich alles andere als perfekt. Aber der Film greift ein Thema auf, das eigentlich nur noch mit Zynismus behandelt wird. Auch wenn in Deutschland die Medienlandschaft noch nicht ganz so verwüstet ist wie etwa in den USA - die mediale Verblödung der Massen und die kulturelle Spaltung der Gesellschaft ist auch hierzulande in vollem Gange.
Martin Schwickert
D 2007 R: Hans Weingartner B: Hans Weingartner, Katharina Held K: Christine A. Maier D: Moritz Bleibtreu, Elsa Sophie Gambard, Milan Peschel
Das Interview zum Film
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