Puppe

Bergwelten

Stadtkinder in der Reha: Ein realistisch ehrlicher Film über Jugendarbeit und Kinderelend in Deutschland

Die 16-jährige Anna (Anke Retzlaff) ist von ihren Erlebnissen als Straßenkind traumatisiert. Um nicht ins Gefängnis zu müssen, nimmt das verschlossene Mädchen widerwillig am Projekt der Sozialarbeiterin Geena teil. Die leitet zusammen mit einer Lehrerin in den Schweizer Alpen einen abgelegenen Hof, den sie zu einer Art Heim für Problemkinder umgewandelt hat. Die von ihr betreuten Mädchen sollen hier in der Abgeschiedenheit der Berge, weit weg vom bisherigen Leben, zur Ruhe kommen und ihr seelisches Gleichgewicht wiederfinden. Geena setzt dabei nicht nur auf klare Regeln, gemeinsame Arbeit auf dem Hof und Unterricht. Sie gewährt den Mädchen auch Freiraum und Zeit, damit sie sich von allein öffnen. Neben Anna gibt es noch noch die 11-jährige Emma, die von ihrem Vater sexuell missbraucht wurde, und die aggressive, kriminelle Magenta. Die kommt wie Anna aus Duisburg und zeigt auffällig großes Interesse für die Neue.

Die Dialoge in Puppe sind knapp, der Film setzt eher auf die Kraft der Bilder. Der Enge und Unübersichtlichkeit der Großstadt stehen die Weite und raue Schönheit der Bergwelt gegenüber. Erst aus ihrer gewohnten Umgebung mit ihren schädlichen Einflüssen herausgelöst, eröffnet sich Anna und den anderen Mädchen die Chance auf einen Neuanfang. Nur muss die auch als solche erkannt und genutzt werden.

Im Gegensatz zu abscheulichen Scripted-Reality-Shows wird in Puppe die Erziehungsarbeit sachlich und unaufgeregt gezeigt. Im Kern geht es dabei um Anna und ihren Weg zurück ins Leben. In vielen Rückblenden erfährt man von ihrem Leben als Straßenkind: Zusammen mit ihrer Freundin Leila zieht sie von Versteck zu Versteck. Um an Geld zu kommen, prostituieren sich die Mädchen. Oft werden sie dabei misshandelt. Das wird nicht gezeigt, wohl aber die erlittenen Verletzungen.

Die Geschichten der anderen Mädchen werden nur gestreift, erschüttern aber dennoch. Und das umso mehr, wenn man weiß, dass das Drehbuch von Marie Amsler stammt, die ihre Erfahrungen als Lehrerin in einem Erziehungscamp in Frankreich einfließen lies. Das lässt vieles erschreckend glaubwürdig erscheinen.

Es ist jedoch etwas schade, dass der über weite Teile auf Realismus setzende und gut gespielte Film in den letzten 20 Minuten eine unglaubwürdige Thriller-Handlung bekommt und die Schurkin ein öde konventionelles Ende findet.

Olaf Kieser

D/SUI 2012 R: Sebastian Kutzli B: Marie Amsler K: Stephan Vorbrugg D: Anke Retzlaff, Corinna Harfouch, Sara Fazilat, Christoph Gaugler