PUNCH DRUNK LOVE

Flieg mit Pudding

P.T. Anderson läßt es nach »Magnolia« locker angehen

Barry Evans (Adam Sandler) hat einen Sprung in der Schüssel. Das sieht man spätestens auf den zweiten Blick. Wenn er anfängt zu reden, windet er sich erst und dann fallen die Worte aus ihm heraus, wie aus einer aufgerissenen Mülltüte. Irgendwo in einem öden Gewerbepark am Rande von L.A. verkauft Barry in seinem Laden Dinge, die niemand so recht zu brauchen scheint. Seit kurzem steht hier auch ein ganze Palette voller Puddingbecher. Barry ist nämlich einem Irrtum der Werbestrategen auf die Schliche gekommen, und die Gutscheine für Bonusmeilen auf dem Billigpudding werden dafür sorgen, dass er in seinem Leben nie wieder für ein Flugticket bezahlen muss.

In Barrys Leben gibt es genug Gründe, sich auf und davon zu machen. Jede der sieben Schwestern wäre schon allein Grund genug. Sie stören, verletzen und bevormunden ihn, und das schon seit frühester Kindheit. Beim Familientreffen reden alle durcheinander und auf ihn ein, dass ihm (und uns) fast der Schädel platzt. Bevor es dazu kommt, tritt Barry das Terrassenfenster zu Klump. Kurz und explosionsartig toben sich seine Aggressionen aus, dann ist er wieder der freundliche, traurige, verschüchterte Junge in einem schlecht sitzenden, blauen Anzug.

Adam Sandler spielt Barry. In den USA füllt Sandler mit komödiantischer Flachware wie Eine Hochzeit zum Verlieben, Waterboy und Little Nicky die Multiplexe. Hierzulande verschwinden seine Filme meistens nach wenigen Wochen wieder in der Versenkung und da gehören sie auch hin.

Regisseur P.T. Anderson, der in Magnolia Frösche vom Himmel regnen ließ, hat sein Drehbuch für Sandler geschrieben. Das Kind im Manne, das in Sandler-Komödien bisher nur zum blödeln gut war, reift in Punch Drunk Love zum tieftragischen Charakter und zu einem der schrägsten Antihelden der jüngeren Filmgeschichte. Hoffnungslos scheint dieser Barry in sich selbst gefangen zu sein, aber Anderson gönnt ihm einen Ausbruch. Hier kommt die Liebe ins Spiel. Lena heißt sie und wird von Emily Watson gespielt. Ein wenig behauptet wirken die plötzlichen Gefühle schon, aber was sie auf der Leinwand in Gang setzen, gehört wiederum zu den schrägsten Romanzen der letzten Kinojahre. Beim Dinner sitzen die beiden sich gegenüber. Er sagt, er möchte ihr Gesicht zerschmettern, so schön sei es. Sie wiederum will seine Augen auslöffeln und aufessen. Solche Liebeserklärungen hört man nicht jeden Tag. Punch Drunk Love hat nicht die epische Breite und narrative Perfektion von Magnolia. Anderson experimentiert mit grellen Farbkompositionen, verfremdeten Toneffekten, ständig wechselndem Erzähltempo und erschafft einen Film, in dem alles möglich zu sein scheint. "Filme befreien den Kopf" hat Fassbinder einmal behauptet. Für Punch Drunk Love gilt das unbedingt.

Martin Schwickert

USA 2002. R&B: Paul Thomas Anderson K: Robert Elswit D: Adam Sandler, Emily Watson, Philip Seymour Hoffman