Prisoners

Schuld und Verzweiflung

Ein spannender Thriller von geradezu biblischer Humorlosigkeit

Hier regnet es immer. Oder es ist dunkel. Oder es ist dunkel und es regnet. In Denis Villeneuves Thriller Prisoners sieht die Welt aus wie ein von Gott verlassener Ort. Jake Gyllenhaal als Polizist Loki (!) wirkt darin wie ein müder Schutzengel, der alles Leid auf seine Schultern lädt - und trotzdem versagt.

Es geht um zwei kleine Mädchen, die am hellichten Tag verschwinden. Es ist nicht einmal klar, ob sie entführt wurden. Trotzdem wird ein Verdächtiger festgenommen, ein retardierter Junge, der gerade mal seinen Namen schreiben kann. Loki lässt ihn bald wieder laufen.

Lokis Widerpart ist Keller Dover, Vater eines der entführten Mädchen und ein knurriger, gottgläubiger Kriegsveteran, der überugt davon ist. dass die Polizei mache alles falsch und deshalb das Recht in die eigenen Fäuste nimmt. Und obwohl Prisoners keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass das Thema Selbstjustiz in den USA eine ganz andere Bedeutung hat, seit der Staat sich selbst zur Folter ermächtigte, ist dies vor allem die Tragödie Keller Dovers, eines Mannes, der mit jedem Faustschlag, den er austeilt, sein eigenes Leben zerstört. Und der das weiß. Nach dem vollkommen albernen Wolverine kann Hugh Jackman als Keller Dover endlich wieder zeigen, dass für ein großer Tragöde er ist.

Fast anderthalb Stunden zieht der Film uns nach unten, breitet sein Geflecht an Spuren und Verdächtigungen aus, ohne dass die Ermittlungen auch nur einen Schritt weitergekommen wären. Die folgende Auflösung ist dann nicht immer logisch, aber ungemein spannend.

Wie einen späten Eastwood-Film hat Villeneuve (Die Frau, die singt) seinen Thriller um Schuld und Verzweiflung in tiefste Dunkelheit getaucht. Oft frisst sich nur der kleine Lichtkegel einer Taschenlampe durch die Schwärze eines Kellers oder eines Hinterhofs, unterlegt mit einem düsteren Orgelton, und wir sind nicht sicher, ob wir überhaupt etwas sehen wollen, falls es da etwas zu sehen gibt.

Einmal findet Loki eine Menge kleiner verschlossene Koffer. Es könnten Kinder darin sein. Er schnappt sich ein Brecheisen und öffnet den ersten. Darin sind nur Schlangen und blutige Kinderkleidung. Je mehr Koffer er öffnet, desto mehr Schlangen ringeln sich um Lokis Füße, aber er ignoriert sie und öffnet voll panischer Angst einen Koffer nach dem anderen - und findet immer nur Schlangen und blutige Kinderkleidung.

Es gibt viele Bilder, die einem nach dieser zweieinhalbstündigen Tour de Force nicht mehr aus dem Kopf gehen. Und obwohl geübte Zuschauer nach gut einer Stunde entscheiden können, wer hier eigentlich hochverdächtig ist, hält Prisoners den hohen Ton der Spannung bis zum letzten Bild. Gerade der Verzicht auf metaphorische Vieldeutigkeit macht die Geschichte so schrecklich. Weil man weiss, dass sie viel mehr bedeutet.

Thomas Friedrich

USA 2013 R: Denis Villeneuve B: Aaron Guzikowski K: Roger Deakins D: Hugh Jackman, Jake Gyllenhaal, Terrence Howard, Melissa Leo, Maria Bello