PRECIOUS - DAS LEBEN IST KOSTBAR

Härte 10

Lesen hilft auf dem Weg aus dem Prekariat, Maria Carey auch

Aufstieg ist machbar, daran glauben Amerikaner inniger als andere Menschen. Nur Precious nicht, ein 16jähriges, grotesk übergewichtiges schwarzes Mädchen in Harlem. Sie hat Schwierigkeiten in der Schule wegen ihrer Legasthenie, ihre Mutter schlägt sie, ihr Vater mißbraucht sie, sie hat ein mongoloides Kind und ist schon wieder schwanger.

So viel Unglück wäre kaum zu ertragen, wenn der Regisseur Lee Daniels nicht einerseits scheinbar naiv aus einer Poesiealbum-Sicht erzählte, und andererseits wie im Vorbeigehen ein Dokumentargefühl erzeugte.

Anfangs lässt sich Precious fatalistisch einfach vom Unglück überollen und flieht nur manchmal in Tagträume von sich als Filmstar oder vom Mathematiklehrer, der sie heiraten will.

Derweil mühen sich nette Lehrer und Sozialarbeiter, sie auf eine Förderschule zu bringen. Und ihre böse Mutter will nur, dass ihr dickes dummes Kind die Schecks von der Fürsorge abholt. Dabei legt die TV-Komikerin Mo'Nique ein so furios verzweifeltes Scheusal hin, dass es dafür einen Nebenrollen-Oscar gab.

Sehr langsam wendet sich das Schicksal, nicht zum guten aber zum etwas besseren. Precious lernt lesen, Precious lernt vor allem, aus dem eigenen Schweigen über ihre Lage heraus zu kommen. Und deutsche Sozialdrama-Regisseure können lernen, wie man eine lustige Szene (Precious klaut einen Eimer Hühnerbeine im Imbiss) mit einer beklemmenden verbindet (Precious stopft sich frustfressend damit voll).

Produzent und Regisseur Lee Daniels hat sich mit einem Besetzungstrick die Aufmerksamkeit des weißen Publikums gesichert: Pop-Diva Maria Carey spielt, auf graue Maus geschminkt, eine Sozialarbeiterin, die sich rührend um Precious kümmert.

Da kümmert es keinen mehr, wie realistisch die ganze Geschichte eigentlich ist, woher die Förderschule ihren Etat hat, woher die lieben Menschen ihr Herz nehmen.

Sapphire, die Autorin der Romanvorlage, die selbst eine kleine Nebenrolle spielt, verarbeitete Erfahrungen aus ihrer Zeit als Sozialarbeiterin.

In Harlem soll es heute anders aussehen. Dafür schlagen hier Sozialarbeiter Alarm: Wie könnten bald ähnliche Verhältnisse kriegen. Ähnliche Filme wohl nicht.

Wing

USA 2009. R: Lee Daniels B: Geoffrey Fletcher K: Andrew Dunn D: Gabourey Sidibe, Mo'Nique, Maria Carey, Lenny Kravitz