»POWDER«

Mit Wimpern

Ein Junge unter Strom, ein Film mit Kurzschluß

In einem alten Farmhaus irgendwo auf dem Lande wird ein Teenager (Sean Patrick Flanery) gefunden, der sich wegen seines kalkweißen Aussehens "Powder" nennt. Die letzte Bezugsperson, sein Großvater, starb an einem Herzanfall. Powder kennt die Welt nur aus Büchern, hat Zeit seines Lebens die großelterliche Farm nicht verlassen und versteckt sich nun im Keller. Sheriff Barnum (Lance Henriksen) und die zu Hilfe gerufene Psychologin Caldwell (Mary Steenburgen) erfahren bald den Grund für die außergewöhnliche Scheu: Seine Mutter wurde kurz vor seiner Geburt von einem Blitz getötet, und der Junge wirkt mit seiner durchsichtig scheinenden Blässe und seiner Haarlosigkeit nicht nur unheimlich, er hat im wahrsten Sinne des Wortes eine elektrische Anziehungskraft.
Caldwell bringt Powder in ihrem Heim für schwererziehbare Jugendliche unter, doch er bleibt ein empfindsamer Außenseiter, der die unterschiedlichen Reaktionen auf seine Kräfte nicht verkraftet. Im Physikunterricht erleidet er einen Starkstromschlag, den er unbeschadet überlebt und weckt damit die fürsorgliche Faszination des Lehrers Ripley (Jeff Goldblum). Auch sein IQ scheint ein Phänomen zu sein. Während der Regierungsbeauftragte Dr. Stipler sehr feindselig reagiert, als Powder dessen hinter falscher Freundlichkeit verborgene Zweifel offen ausspricht, verstärkt sich die Zuneigung seiner Mitschülerin Lindsay, als er durch eine Berührung den Austausch ihrer innersten Geheimnisse verursacht. Während Sheriff Barnum durch die medialen Fähigkeiten den letzten Wunsch seiner im Koma versterbenden Frau erfüllen kann und sich mit seinem Sohn aussöhnt, reagiert Sheriff-Stellvertreter Duncan mit erschrockenem Haß, als er am eigenen Leid die Todesqualen eines von ihm erlegten Rehs erfährt.
Ausgerechnet Einsteins Theorie der Energieerhaltung inspirierte Autor und Regisseur Victor Salva zu diesem Mystery-Drama, obwohl sie sicher nicht so wörtlich gemeint ist. Wer diese Geschichte glaubt, stört sich auch nicht an Powders Wimpern, die der Schauspieler wegen der elektrostatischen Aufladung gar nicht haben dürfte und die jede Nahaufnahme ruinieren. Dabei hält das kunstvolle, täglich drei Stunden aufgetragene Make-Up (entworfen vom Ehepaar Burman, die u.a. Jack Nicholson in den "Joker" verwandelt haben) scheinbar mühelos jedem Regenguß, jedem Anfassen, jeder Bewegung der Gesichtsmuskeln stand.
Filme über gesellschaftliche Außenseiter wecken in der Regel Verständnis und zeigen, wenn auch oft an den Haaren herbeigezogene Möglichkeiten eines sozialen Miteinanders. Powder aber enttäuscht hier: Die Hauptfigur versucht dauernd wegzulaufen und sich wieder in ihr Kellerloch zu verkriechen. Alle anderen wissen eigentlich auch nichts richtiges mir ihr anzufangen. Zum Schluß bringt sich der Mega-Softi sogar um, weil er trotz seiner überragenden Intelligenz keine Perspektive sieht (dabei glaube ich fest an das Gegenteil: David Copperfield verdient mit einer vergleichsweise harmlosen Show ein Vermögen. Und lebt mit Claudia Schiffer!).

Frank Woicke