DIE POLIZISTIN Die Berührbare
Rostocker Nacht-Realismus bis zur Schmerzgrenze Anne ist die Neue auf der Wache. Umgeschult vom Postdienst auf den Polizeidienst. Ich habe gerne mit Menschen zu tun, sagt sie. Wie eine Strahlefrau inmitten routinierter Beamter und ruinierter Bürger bewegt sich Anne auf ihren ersten Streifen durch das Rostocker Revier. Du mußt Dir unbedingt eine dickere Haut zulegen, bekommt sie von Kollege Mike zu hören, ein Elefant in Grün. Annes dünne Haut ist es, über die ihre Beziehung zu den Männern illustriert wird. Der gänzlich unsinnliche, dazu verheiratete Mike versteht es als seine Mannespflicht, Anne ins Bett zu bekommen. Ihre erste Berührung im Film spricht Bände: Er reibt Annes Hände mit Desinfektionsmittel ein. Während eines Treffens mit dem Dieb Ivan reißt sich Anne Schwielen in die Hände, Ivan streicht sanft darüber, die Szene endet mit Sex auf dem Küchentisch. Ein düsteres Bild, das Andreas Dresen über die trostlose Polizeiarbeit in einem finsteren Rostock entwirft. Ähnlich seinem Konzept in Nachtgestalten, herrscht auch hier ein bedingungsloser Realismus. Bizarr geradezu gestaltet sich eine Szene während der nächtlichen Streife durch Rostock. Anne und Mike drehen einer Alkoholiker-Party den Strom ab und dringen in die Wohnung ein. Allein der Schein ihrer Taschenlampen erhellt den Raum punktuell: ein Abstieg in die Katakomben des maroden Sozialstaats, dort wo die Totgeschwiegenen ihr trübes, subventioniertes Dasein fristen. Es sind nicht derlei unbehagliche Momente, die Dresens intensiven Film beherrschen, keine voyeuristische Elendsabbildung, während derer Betrachtung man zur Beruhigung gerne seine Finger liebevoll ans Portemonnaie preßt. Jedes der Bilder steht in Bezug zur Suche der Polizistin nach handhabbarem Kontakt, nach einem Weg, nicht alles, was sie berührt, zu berühren.
Oliver Baumgarten
D 2000. R: Andreas Dresen. B: Laila Stieler. K: Michael Hammon. D: Gabriela Maria Schmeide, Axel Prahl, Jevgenij Sitochin
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