DER PIANIST

Aus der Ferne

Roman Polanski befaßt sich erstmals mit der eigenen Geschichte

Eigentlich hatte man Polanski schon ein bisschen aufgegeben. Alle vier bis fünf Jahre tröpfelte ein Film des Altmeisters ins Kino. Ein großer Wurf waren weder Bitter Moon , noch Der Tod und das Mädchen , ganz zu schweigen von The Ninth Gate . Polanski schien sich immer mehr ins Groteske zu versteigen und drohte zum kauzigen Alten zu verkommen. Einen so geradlinigen, gedankenklaren Film wie Der Pianist hatte man nach den esoterischen Eskapaden von The Ninth Gate nicht mehr erwartet. Vielleicht liegt das daran, dass Polanski mit diesem Film zurückgeht, weit zurückgeht in seine Heimat Polen und in seine eigene Geschichte.
Polanskis Kindheit - das ist eine Kindheit im Krakauer Ghetto. Die Mutter wurde in Auschwitz ermordet. Mit dem Vater gelang die Flucht, kurz bevor die Nazis das Ghetto liquidierten. Einen autobiografischen Film wollte Polanski jedoch aus Respekt vor den eigenen Erinnerungen nie drehen. Als Vorlage dienten die Memoiren des polnisch-jüdischen Pianisten Wladyslaw Szpilman - 1946 verfasst, von der kommunistischen Zensur auf den Index gesetzt und erst 1998 weltweit veröffentlicht.
Als 1939 die ersten deutschen Bomben auf Warschau fallen, sitzt Szpilman (Adrian Brody) am Klavier im Sendesaal des polnischen Rundfunks und spielt unbeirrt weiter. Erst als die Wände bersten, die Techniker die Flucht ergreifen, bricht auch Szpilman sein Konzert ab. Zu Hause in der Familie hofft man, dass der Spuk schnell vorbei ist. Sechs Jahre wird er dauern und unvorstellbare Dimensionen annehmen.
Mit nüchterner Präzision zeigt Polanski wie die Nazis die Schlinge um die jüdische Bevölkerung immer enger ziehen. Auf die verordnete Etikettierung mit dem Judenstern folgt die materielle Enteignung, die Umsiedlung, die Errichtung der Ghettomauern, die Verkleinerung des Terrains und schließlich die Deportation von 300.000 Juden in die Konzentrationslager. Mit Hilfe polnischer Freunde gelingt Szpilman die Flucht aus dem Ghetto, nachdem seine ganze Familie bereits deportiert wurde. Er wird in einer leerstehenden Wohnung, genau gegenüber den Ghettomauern versteckt. Den Aufstand im Ghetto und die brutale Niederschlagung durch die SS-Truppen beobachtet er von seinem Fenster aus hinter dem Vorhang.
Der Film folgt der geduckten Perspektive seiner Hauptfigur, verkleinert sukzessive den eigenen Aktionsradius, bis von der Welt nur noch ein Zimmer und der Spitzboden eines Dachstuhls bleibt. Die Verengung des Raums geht einher mit der Entkräftung des Protagonisten. Szpilman ist nur noch ein dünner Schatten seiner selbst, als ein deutscher Offizier ihn kurz vor Kriegsende entdeckt und nicht verrät.
Wie vom Leben nur noch das Überleben übrig bleibt, zeigt Polanski in klaren eindrücklichen Bildern, die sich emotionaler Effekthascherei konsequent verweigern. Wenn die SS-Schergen bei einer nächtlichen Razzia eine Wohnung stürmen, einen alten Mann im Rollstuhl einfach aus dem Fenster werfen, den Rest der Familie zusammentreiben und niederschießen, dann blickt Polanski aus einer Wohnung von der anderen Straßenseite auf diese willkürlichen Gewaltexzesse. Aber gerade diese räumliche Distanz des Blicks verstärkt das Gefühl der Unfassbarkeit des Gesehenen. Polanski, der sich mit Rosemarys Baby als Meister subtiler Horrorfanatsien in die Filmgeschichte eingeschrieben hat, reduziert seinen Film angesichts des ganz realen Horrors der Geschichte auf eine klare, nüchterne Bildsprache. In dem charismatischen Hänfling Adrien Brody hat er den passenden Schauspieler für sein Konzept gefunden. Brody bringt das Kunststück fertig, den körperlichen und seelischen Verfall seiner Figur herauszuarbeiten, ohne sie ihrer Würde zu berauben.

Martin Schwickert