»PHENOMENON«

Das Apfelmännchen

Vom Glück der bescheidenen Denkungsart

Am Ende ist der Gute tot - und alle, alle sind glücklich: Die Scientologen-Verbrenner, weil die befürchetete jugendverderbende Predigt vom klaren Geist des Übermenschen ergeben vorm Gehirntumor verstummt. Die Figuren im Film, weil das Beispiel des reinen Super-Tors die mißtrauische, verschlossene Dorfbevölkerung zum Sozialwesen erweckte; und Kyra Sedgwick, weil John Travolta die von der Welt enttäuschte alleinerziehende Mutter noch am Abend seines Todes für die Liebe öffnete. Das Publikum natürlich auch, weil es jetzt endlich mit dem gerührten Schniefen und seligen Grinsen aufhören kann.
Am Anfang ist der Gute auch schon herzensgut. Nur ein bißchen tumb. Blauäugig und zufrieden schraubt Travolta an Autos herum, versteht sich eigentlich nur mit einem einsam schweigenden Amateurfunker-Freund (Forest Whitacker, sehr bodennah), und findet es völlig in Ordnung, ständig vom Doktor (Robert Duvall, sparsam und genau) im Schach geschlagen zu werden.
Dann fällt Travolta um. Wir sehen, daß er ein Licht gesehen hat - aber seine Mitbürger glauben, er glaube nun an UFOs. Zumal der liebenswerte Trottel plötzlich fließend spanisch spricht, fünf Bücher am Tag liest, Schach im Schlaf spielt - bzw. überhaupt nicht mehr schläft.
Es gibt noch mehr wunderbare Veränderungen, aber die wunderbarste soll wohl sein, daß er sich gar nicht wirklich verändert. Das unfreiwillige Genie bleibt liebenswert menschenfreundlich - und weltfremd zugleich. Geheime Militärfunksprüche dienen ihm nur als Code-Knacker-Kreuzworträtsel, seine Erfindungen konzentrieren sich auf landwirtschaftliche Bereiche, und seine ungewöhnlichen Fähigkeiten (Erdbeben aus dem Bauch heraus vorhersagen, Empathie, Telekinese ...) nutzt er nur zur Verbesserung der Lebensbedingungen seines Umfelds.
Das ist im Film und in der Welt bedenklich. Die Nachbarn wenden sich mit Schaudern, das Internet quillt über vor penibel recherchierten Listen mit Übereinstimmungen zwischen Film-Figur, Scientology-Gründer und einem der prominentesten Mitglieder der Kirche der Gewieften. Wie es aber wirklich im Inneren von John Travolta und seiner Rolle aussieht, soll keiner wissen. Im Film flieht der Todgeweihte clever aus der Klinik, um eine Autopsie zu vermeiden - im Leben reden Star und Regisseur (Jon "Während du schliefst" Turteltaub) lieber schwammig vom "Einklang mit der Welt" und sitzen gewinnend lächelnd jeden Propaganda-Verdacht einfach aus.
Tatsächlich sind die filmisch und ideologisch schönsten Momente die wortlosen, ziellosen: die dauerwache Intelligenz-Bestie kommt nur zu Ruhe, wenn sie sich langsam mit den Bäumen im Winde wiegt - die spät entfachte Frau löst sich aus ihrer Todes-Trauer mit derselben Regung ...
Wenn aber die unklare gute Botschaft ausgesprochen wird, verwandelt sie sich in falschen Kitsch. "Nimm diesen Apfel", sagt das agrarische Phänomen wider besseres Wissen zu den Kindern seiner Geliebten; "Wenn er im Gras liegen bleibt, verfault er und verschwindet. Aber wenn wir ihn essen, wird er ein Teil von uns und lebet ewiglich." So ein Quatsch - Apfelbäumchen pflanzt man doch nicht mit dem Mund.
Im Übrigen sollte man Phenomenon unbedingt im Dreier-Pack ansehen. Zusammen mit dem dem recht jungen I.Q. (da tut ein Automechaniker nur so, als ob er ein Genie wäre, und kriegt Einsteins Nichte, gerade weil er ihr seine Dummheit eingesteht) - und dem End-Sechziger Charley : da wird ein echter Debiler jekyll/hydeisch-chemisch zum Genie gespritzt, versucht an sich selbst das Wesen der Intelligenz zu ergründen - und schafft es nicht; schon weil der Boost irreparabel nachläßt. Und Charley endet wie Phenomenon mit dem entrückten Lächeln der Hauptfigur. Damals war sie wieder ein Idiot - heute ist sie tot. Ob das der Fortschritt ist?

WING