DIE PERLENSTICKERINNEN
Stille Präsenz Ein leiser Film über zwei FrauenUnter einem dicken Wollmantel und mehreren Textilschichten versteckt Claire (Lola Naymark) ihren Körper, dessen Veränderung sich nicht mehr lange geheim halten lässt. Claire ist 17 und im fünften Monat schwanger. Den Kolleginnen im Supermarkt erzählt sie, sie habe Krebs und reißt sich zum Beweis für die Kortison-Behandlung einen Büschel Haare aus.
Claire ist eine dieser eigensinnigen Heldinnen, wie sie nur das französische Kino hervorbringt. Ihre wilden, roten Locken leuchten in der Spätherbstsonne. In ihrem Blick liegen Abwehr und Herausforderung zugleich. Wenn sich ihr Gesicht zu einem sparsamen Lächeln öffnet, glaubt man einen anderen Menschen vor sich zu haben.
Ihr gegenüber steht in Eléonore Fauchers gelungenem Kinodebüt Die Perlenstickerinnen eine hagere Dame, in deren Gesicht sich die Enttäuschungen des Lebens tief eingegraben haben. Madame Melikian (Araine Ascaride) hat ihren Sohn durch einen Motorradunfall verloren. Ihr dunkles Haar ist streng nach hinten gebunden und ihr schmaler Körper wird nur noch von der schwarzen Trauerkleidung zusammengehalten. Selten im Kino haben sich zwei Gesichter und Körper so gut ergänzt wie hier. Gemeinsam sitzen die beiden Frauen vor einem Stück feiner Gaze, das sie mit Pailletten und Strasssteinen besticken. Madame Melikian stickt in ihrem abgelegenen Haus am Dorfrand für die Pariser Haute-Couture. Claire, die ihr Kind anonym gebären und zur Adoption freigeben möchte, beginnt bei der alten Dame zu arbeiten und findet in der Werkstatt den Raum, ihr Leben neu zu überdenken.
Die Perlenstickerinnen ist ein Film über die befreiende Wirkung, die die Begegnung von zwei unterschiedlichen Menschen zur richtigen Zeit im Leben haben kann. Die Mutter, die um ihren verstorbenen Sohn trauert, und die junge werdende Mutter, die ihr Kind nicht haben will, ergänzen einander in ihrer Gegensätzlichkeit.
Das hört sich weitaus schematischer an, als es im Film aussieht. Denn Eléonore Faucher versteht etwas von der Subtilität, mit der Veränderungen im Leben vonstatten gehen, übersetzt sie in eine stimmungsvolle Bildsprache und eine Dialogregie, die durch gezielte Auslassungen dem Unausgesprochenen vertraut. Das eigentliche Epizentrum des Films ist jedoch die junge Lola Naymark, die mit ihrer stillen, klaren Präsenz die Leinwand magnetisiert.
Martin Schwickert
Brodeuses F 2004 R: Eléonore Faucher B: Eléonore Faucher, Gaëlle Macé K: Pierre Cottereau D: Lola Naymark, Ariane Ascaride, Marie Félix
|