Paulette

Mama hat den besten Shit

Eine böse Rentnerkomödie mit der grandiosen Bernadette Lafont

Ihr ganzes Leben hat Paulette eine Konditorei gemeinsam mit ihrem Mann betrieben. In Rückblenden sehen wir eine glückliche junge Frau mit Familie, die das normale kleinbürgerliche Leben einer Geschäftsfrau durchläuft: Liebe, Hochzeit, das erste eigene Auto, Geburt der Tochter, Älterwerden... als der Film einsetzt, ist Paulettes Mann seit zehn Jahren tot, der Laden futsch und sie selbst haust ärmlich in einer Sozialsiedlung zwischen Rentnern, Dealern und verwahrlosten Jugendlichen.

Sie sieht, wie die Jungs im Viertel mit Shit dealen, und sie muss mit ansehen, wie ihr eines Tages der Gerichtsvollzieher die Wohnung leerräumt, weil sie seit einem Jahr die Miete nicht mehr zahlen kann. Paulette erfährt durch ihren Schwiegersohn, einen schwarzen Polizisten, wie viel Geld durch Haschverkauf zu machen ist. Und weil sie inzwischen weiß, wer in ihrem Viertel den Handel kontrolliert, klingelt die kleine vorlaute Oma eines Tages an einer bestimmten Wohnungstür und möchte Vito sprechen. "Ich will einsteigen!", sagt Paulette. In kürzester Zeit wird sie Vitos beste Straßenverkäuferin und hat plötzlich einen Haufen Geld in Händen.

Dass Paulette ins Hasch-Geschäft einsteigt, ist in Jérome Enricos schwarzer Komödie der puren Not geschuldet. Sein Film lässt den sozialen Anlass für all dies nicht aus den Augen. Seine Paulette ist anfangs keine nette Oma. Sie ist eine rassistische Nörglerin, die nicht müde wird, über "Fidschis, Schlitzaugen und Bimbos" herzuziehen. Für sie sind "die Ausländer" an ihrer Misere schuld, wie sie in der Beichte erzählt ("Nicht Sie!", sagt sie erschrocken zu ihrem schwarzen Pfarrer, "Sie hätten es verdient, weiß zu sein."). Sie verachtet ihre Tochter, die ihr diesen schwarzen Schwiegersohn und ein schwarzes Enkelkind eingebracht hat. Für ihr Drogengeld allerdings muss Paulette plötzlich mit Arabern, Schwarzen und Asiaten zusammenarbeiten. Und ihre Welt fängt an, sich etwas zu verschieben.

Der rüpelige Charme, mit dem die knapp 75jährige Bernadette Lafont diese Krawall-Oma auf Drogen spielt, trägt den gesamten Film. Gemeinsam mit ihren Freundinnen aus der Bridge-Runde betreibt sie schließlich eine gut gehende Hasch-Bäckerei, wo es all die Köstlichkeiten gibt, die sie früher auch in ihrer Konditorei anbot, nur eben diesmal "mit Kick". Die begeisterte Kundschaft steht Schlange vor Paulettes Wohnung. Paulette ist witzig, frech und flott inszeniert. Die Komödie verkleistert nichts. Das Elend der Hochhäuser bringt Paulette ebenso oft ins Bild wie die leicht duseligen Jungdealer, die dem Erfolg der resoluten Oma ratlos zusehen - bis Paulette sie mit ins Boot holt.

Wenn Paulette im Mediamarkt zielstrebig auf den dicksten 3D-Fernseher zugeht und dem schnöseligen Verkäufer sagt "Den da will ich!", und der genervt fragt "Und wie bezahlen Sie, in 20 oder 40 Monatsraten?!", und wenn ihm Paulette dann einfach ein dickes Bündel Geldscheine unter die Nase hält und knurrt "In bar, du Blödmann!" - dann erleben wir den endgültigen Sieg der Konsumlust über die Moral; zumal der Film Haschkonsum als ein legitimes Vergnügen präsentiert. Später sitzt sie gemeinsam mit ihren betagten Freundinnen vor dem Riesenscreen, alle unter 3D-Shutterbrillen, und alle quietschen vor Vergnügen. Paulette hat ein überraschendes Ende. Obwohl Komödie, verkleistert der Film nichts. Es gibt kein klassisches Happy End. Dass trotzdem am Ende (fast) alle glücklich sind, ist einer ebenso erstaunlichen wie einleuchtenden Drehbuch-Volte zu verdanken, die man so seit 20 Jahren im Kino nicht gesehen hat.

Victor Lachner

F 2012 R: Jérome Enrico B: Jérome Enrico, Laurie Aubanel, Bianca Olsen, Cyril Rambour K: Bruno Privat D: Bernadette Lafont, Carmen Maura, Dominique Lavanat, Paco Boublard