DIE PASSION CHRISTI
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Jesu Leiden unpluggedMel Gibsons Die Passion Christi hat ein publizistisches Echo ausgelöst, von dem PR-Agenten nur träumen können. Lange bevor der Film in die Kinos kam, wurde die Diskussion angeheizt. Am schwersten wog der Antisemitismus-Vorwurf, gefolgt von dem der Brutalisierung. Beides passte gut ins Gibson-Image. Einerseits ist der Schauspieler und Regisseur von "Braveheart" über "Payback" bis hin zu "Der Patriot" durch seinen Hang zu expliziten Gewaltdarstellungen einschlägig bekannt. Andererseits gehört Gibson der erzkonservativen "Catholic Church" an, einer christlichen Splittergruppe, die sich vom 2. Vatikanische Konzil verraten fühlt. Ebenda hatte sich die katholische Kirche hochoffiziell vom Vorwurf der Kollektivschuld der Juden am Tod Jesu verabschiedet. Der Regisseur parierte die Vorwürfe mit der Behauptung, er habe sich streng an den Urtext der Evangelisten gehalten.
Tatsächlich tut Gibson alles, um den Eindruck historischer Authentizität zu erwecken. Die Dialoge werden in Aramäisch und Latein (mit Untertiteln) rezitiert, und die historische Kulisse erscheint im naturalistischen Schmuddellook. Gibson will keine Zweifel aufkommen lassen, dass hier die Passion Christi pur und "unplugged" zu sehen ist. Dazu gehört vor allem Gewalt. Sehr viel Gewalt. Denn so eine Kreuzigung - das ist die unmissverständliche Zentralbotschaft des Films - ist schließlich kein Zuckerschlecken.
Auf 126 Minuten komprimiert Die Passion Christi die letzen zwölf Stunden, beginnend mit dem Verrat des Judas bis zum letzten Atemzug des Gekreuzigten und einer kurzen Auferstehungssequenz. Schnell macht der Film deutlich, wohin die Reise geht: bei der Festnahme Jesu (Jim Caviezel) schneidet Petrus höchstpersönlich einem der Häscher mit dem Messer ein Ohr ab. In Zeitlupe sieht man, wie das Ohr zu Boden fällt und das Blut herausspritzt. Es folgt eine neunminütige Auspeitschungssequenz, und dann in aller Ausführlichkeit der blutige Kreuzgang entlang der Via Dolorosa. Von Jim Caviezel ist zwischen Blutkrusten und Gesichtsschwellungen nichts mehr zu erkennen.
Wer ist Schuld am Tod des Christenführers? Dies ist die Gretchenfrage in jedem Passionsspiel. Gibson beantwortet sie mit provokativer Ambivalenz. Die Pharisäer fordern den Tod des Lästerers, und die Menge jubelt ihnen zu. Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld. Für die brutale Ausführung ist die blutrünstige römische Soldateska verantwortlich. Der einzige, der den Geschundenen in Schutz nimmt, ist der Jude Simon. Der Heiland selbst macht Gott für seinen Leidensweg verantwortlich.
Gibson hat die Schuld innerfilmisch gerecht verteilt. Dass sich daraus trotzdem ein gewisser Antisemitismus ableiten lässt, liegt in der literarischen Vorlage begründet, und Gibson ist an einer Beschönigung des Bibeltextes nachweislich nicht gelegen. Mit sadomasochistischem Vergnügen arbeitet er an der visuellen Brutalisierung der Vorlage. Aber auch hier muss man sagen: er ist nicht der Erste. Wer sich einmal die Mühe macht, die Innendekoration einer katholische Kirche mit Kinderaugen zu betrachten, der wird feststellen, dass so manche Kirchenmalerei einem Horrorfilm in nichts nachsteht.
Die interessantere Frage lautet: warum beharrt ein Filmemacher im 21.Jahrhundert auf diese Form der religiösen Schreckensmalerei? Die Antwort liegt in Gibsons Bekehrungswahn begründet. Einerseits nutzt er den Gewaltvoyeurismus der modernen Mediengesellschaft, um die Schafe ins Kino zu treiben. Andererseits vertritt dieser Film mit seiner Gewichtung auf das Martyrium einen düsteren Glaubensfundamentalismus, der mit großer Verachtung auf das Diesseits blickt. Diese Verachtung spiegelt sich in der Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Publikum, das in Großaufnahme ansehen soll, wie zwanzig Zentimeter lange Nägel genussvoll mit kraftvollen Schlägen in die Hände hineingetrieben werden. Mit gleicher Wucht möchte Gibson sein Glaubensverständnis ins degenerierte Popcorn-Kinopublikum hineinhämmern.
Martin Schwickert
The Passion of the Christ USA 2004 R: Mel Gibson B: Benedict Fitzgerald K: Caleb Deschanel D: Jim Caviezel, Monica Bellucci, Maia Morgenstern
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