DAS PARFUM
Flug der Bilder Tom Tykwer findet sich auch im Mainstream zurecht
Zuerst sieht man allein die Nase. Sie ragt aus dem Dunkel der Gefängniszelle in den Lichtkegel hinein und nimmt mit aufgeblähten Nüstern die Witterung auf. Die Nase, um die es geht, gehört Grenouillem, dem berühmtesten Geruchsmenschen der Literaturgeschichte.
1985 stürmte Patrick Süskind die Bestsellerlisten, Das Parfum wurde mit 15 Millionen verkauften Exemplaren der erfolgreichste deutschsprachige Roman seit Im Westen nichts Neues. Lange hat sich Süskind gegen eine Verfilmung gesperrt. Erst vor fünf Jahren konnte der Produzent Bernd Eichinger die Filmrechte erwerben und nahm Tom Tykwer (Lola rennt) als Regisseur unter Vertrag.
Es ist keine leichte Aufgabe, die Tykwer in seiner ersten Auftragsproduktion übernommen hat. Nicht nur weil es hier vorrangig um den schwer zu visualisierenden Geruchssinn geht, sondern auch weil der introvertierte, unansehnliche Held, der kaum einen vollständigen Satz herausbekommt, alles andere als ein Sympathieträger ist.
1738 kommt Grenouille auf dem stinkenden Pariser Fischmarkt zur Welt. Dieser frühkindliche Geruchsschock wird seine olfaktorischen Sinne für immer schärfen und ihn das Waisenheim und die bestialischen Arbeitsbedingungen in der Gerberei überleben lassen.
Wenn Grenouille sich erstmals seiner besonderen Gabe bewusst wird, hebt die Kamera ab und fliegt den Gerüchen nach, die der Junge aus allen Richtungen und über große Entfernungen wahrnimmt. Neben der aufwallenden Musik und dem dynamischen Schnitt ist es vor allem diese entfesselte Kamera mit der Tykwer immer wieder den übermenschlichen Geruchssinn seines Protagonisten visualisiert.
Als junger Mann heuert Grenouille (Ben Wishaw) bei dem Pariser Parfumeur Baldini an, den Dustin Hoffman mit Puder, Perücke und gut dosierter Ironie verkörpert. Wunderbar spielt Tykwer das Aufeinandertreffen des verwahrlosten Riechtieres mit dem eitlen Duftexperten aus. Grenouille ist auf der Suche nach einer Technik, mit der man den menschlichen Geruch konservieren kann.
Seinen ersten Mord aus olfaktorischer Leidenschaft begeht er versehentlich an einer jungen Mirabellenverkäuferin (Karoline Herfurth), deren Duft seine Sehnsüchte in Zukunft bestimmt. In der Parfum-Metropole Grasse schließlich wird der manische Duftsammler zum Serienmörder, der die Gerüche seiner jungen Opfer extrahiert und zum perfekten Parfum komponieren will.
Die Fans des Romans werden von Tykwers ambitionierter Verfilmung nicht enttäuscht sein. Auch wenn man sich für die Hauptrolle einen etwas markanteren Darsteller als den weitgehend unbekannten Ben Wishaw gewünscht hätte, gelingt es, die dramatische Spannung der Vorlage zu destillieren, ohne die komplexe Seelenstruktur des introvertierten Helden zu vernachlässigen.
Es spricht für den Film, dass die mangelnde Redegewandtheit Grenouilles in der vorandrängenden Geschichte nicht weiter ins Gewicht fällt. Tykwers Figuren, von Franka Potentes "Lola" bis zu Cate Blanchetts "Philippa" in Heaven haben immer etwas Getriebenes, und Süskinds manischer Geruchsmensch passt gut in das emotionale Universum des Regisseurs.
Natürlich atmet diese internationale Großproduktion nicht mehr die jugendliche Frische früherer Tykwer-Filme, aber die literarische Vorlage und die enge Zusammenarbeit mit Eichinger haben Tykwer aus der Selbstbezogenheit herausgelöst, durch die er mit Heaven in die Sackgasse geraten war.
Die Bedingungslosigkeit und die Energie, durch die Tykwer mit Lola rennt bekannt wurde, finden sich hier wieder. Hinzu kommt eine Liebe zu historischen Details, die einmal nicht zum Selbstzweck wird, und eine finale Orgie mit 750 Darstellern, die auf jeden Fall in die Filmgeschichte eingehen wird.
Martin Schwickert
D/F/SP 2006 R: Tom Tykwer B: Andrew Birkin, Bernd Eichinger, Tom Tykwer K: Frank Griebe D: Ben Whishaw, Alan Rickman, Dustin Hoffman
Das Interview zum Film
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