DIE VERSUCHUNG DES PADRE AMARO

Sex mit Priestern

Carlos Carreras mexikanisch-sinnliche Kirchenbeobachtung

Die Doppelmoral gehört zum Katholizismus wie der Senf zur Bratwurst. Untrennbar ist das enge Moralkorsett mit dem lustvollen Zyklus aus Versuchung und Sünde, Sühne und Vergebung verbunden. Schließlich ist der interessanteste Ort in einer katholischen Kirche nicht der Altar, sondern der Beichtstuhl. Hier sitzt die 16jährige Amelia (Ana Claudia Talancon) und spricht von ihrer Sinnlichkeit, von der Sünde gegen sich selbst und dass sie dabei an den Herrgott in Person denkt. Amelia ist eine glühende Gläubige und mittendrin im pubertären Rausch der Hormone.

Ihr religiöses und weltliches Begehren verlagert sich gerade von Jesus Christus auf den jungen Padre Amaro (Gael García Bernal). In einem abgelegenen mexikanischen Bergdorf geht der Nachwuchspriester bei dem alten Padre Benito (Sancho Gracia) in die Lehre. Schon in der ersten Nacht muss Amaro feststellen, dass es sein Ausbilder mit dem Zölibat nicht so genau nimmt. Seit Jahren lebt Benito mit seiner Haushälterin Sanjuanera (Angélica Aragon) in Sünde, deren Tochter Amelia nun wiederum den jungen Padre anhimmelt.

Aber nicht nur mit den Sünden des Fleisches wird Amaro konfrontiert, sondern auch mit der schmutzige Machtpolitik des Klerus. Benito benutzt die Gemeindekasse als Geldwaschanlage für den lokalen Drogenbaron und finanziert mit den Überschüssen einen Krankenhausbau. "Wir nehmen schmutziges Geld, um Gutes zu tun", lautet seine Version katholischer Doppelmoral.

Immer wieder treibt Carlos Carrera in seinem politischen Melodram den unschuldigen Helden in Situationen hinein, in denen er von seinen naiven Moralvorstellungen Abschied nehmen muss. Amaro lässt sich nicht nur auf das korrupte Machtspiel der Kirche ein, sondern beginnt auch eine leidenschaftliche Affäre mit der minderjährigen Amelia. Die Versuchung des Padre Amaro wurde in Mexiko zum erfolgreichsten einheimischen Film aller Zeiten. Offensichtlich legte Carrera mit seiner rückhaltlosen Kritik an der Bigotterie der katholischen Kirche den Finger direkt in die Wunde. Dabei ist sein Film weniger mit den politischen Lehrstücken Costa Gavras verbunden, als mit der Tradition des mexikanischen Melodrams. Amelias Blicke, die dem jungen Padre entgegenstürmen, lassen die Leinwand lodern, und an dramatischen Wendungen im Verlauf der Liebesgeschichte wird nicht gespart. Nur manchmal - etwa wenn Amaro seine Geliebte vor dem Beischlaf als Jungfrau Maria in Szene setzt - wird das große Gefühl ins Groteske überzeichnet.

Vom unschuldigen Novizen bis zum herzkalten Karrieristen - mit frappierender Überzeugungskraft geht Hauptdarsteller Gael García Bernal (Amores Perros) durch die moralischen Wechselbäder, die das Skript von Vicente Leñero für den Priesterlehrling vorbereitet hat. "Die einzige Hölle", heißt es dort einmal, "ist die Einsamkeit".

Genau hier schmort der junge Padre im tragischen Schlussbild. Allein. Hinter dem Altar. Weit weg vom Beichtstuhl.

Martin Schwickert

El Crimen del Padre Amaro Mexiko 2002 R: Carlos Carrera B: Vicente Leñero K: Guillermo Granillo D: Gael García Bernal, Sancho Gracia, Ana Claudia Talancón