OFFSIDE

Freche Frauen auf dem Dach

Das Fußball-Tabu im Iran: Jafar Panahi macht daraus eine unterhaltsame Groteske

Das Beste an einem Fußballspiel im Stadion", sagt der alte Mann auf die Frage, warum er sich das Spiel nicht zu Hause im Fernsehen anschaut, "ist, dass man so viel fluchen kann, wie man möchte".
Fußball als Aggressionsregulator - diese Funktion spielt auch und gerade im religiös-repressiven Regime des Iran eine Rolle. Der Fanbus ist auf dem Weg zum Teheraner Stadion, wo das WM-Qualifikationsspiel Iran-Bahrain ausgetragen wird. Die Straße ist voll mit hupenden, fahnenbeschmückten Autos. Zwischen den gröhlenden Jungs sitzt ein Mädchen (Sima Mobarak), das Basecap tief ins Gesicht gezogen und die iranischen Nationalfarben zur Tarnung auf die Wangen geschminkt. Im Iran ist Frauen der Zugang zu Stadien verboten, und so versuchen sich die Mädchen als Jungen verkleidet unter die Menge zu mischen. Der Versuch, sich ins Stadion zu schmuggeln, scheitert am Einlass. Die Soldaten nehmen das Mädchen fest und führen es zu einer provisorischen Sammelstelle, die das Militär auf dem Dach des Stadions eingerichtet hat.
Hier oben setzt der iranische Regisseur Jafar Panahi eine äußerst unterhaltsame Farce über die Geschlechterrollen in seinem Heimatland in Gang. Während die Menge die Arena zum Beben bringt, beginnen die Gefangenen eine Diskussion mit den jungen Rekruten.
Die Großstädterinnen sind den Burschen vom Lande, die nur unwillig ihren Militärdienst verrichten, argumentativ und fachlich vollkommen überlegen. Einer der Soldaten wird dazu abgestellt, das Spiel wenigstens als Audio-Kommentar einzusprechen und disqualifiziert sich hoffnungslos vor seinem weiblichen Publikum. Die Frauen tauschen ihre Erfahrungen aus über de besten Tricks, sich Zugang zum Stadion zu verschaffen. Eine hat es in geliehener Militäruniform sogar auf die Generalstribüne geschafft. Ein Gang zum Klo, bei dem der überforderte Rekrut versucht, die Herrentoilette zu räumen, entwickelt sich zur Groteske.
Trotz der satirischen Darstellung der Geschlechterverhältnisse verfällt Panahi nie in Klischeefallen. Die Soldaten bekommen mit fortschreitender Handlung mehr menschliche Tiefe, und es wird immer klarer, dass sie Positionen vertreten, an die sie selbst nicht mehr so recht glauben. Schließlich kommt die Order, die Gefangenen ins Präsidium zu bringen. Und während sich der Transporter durch den Teheraner Verkehr quält, fällt der Schlusspfiff. Iran hat gewonnen und ganz Teheran beginnt auf den Straßen zu feiern. Der mitreißende Strom der Freude nimmt die Frauen in sich auf und lässt sie in der Menge verschwinden. Ein sehr friedliches Schlussbild, das der Hoffnung Ausdruck verleiht, dass sich vielleicht auch das fundamentalistische Regime eines Tages von der Entwicklung seines Volkes hinwegschwemmen lässt.
Fünf Filme hat Jafar Panahi gedreht und ist dafür in Cannes, Locarno und zuletzt (für Offside) auch in Berlin ausgezeichnet worden. Im Iran war bisher keiner seiner Filme zu sehen - weder für Männer noch für Frauen.

Martin Schwickert

Iran 2006 R&B: Jafar Panahi K: Mahmood Kalari D: Sima Mobarak Shahi, Safar Samandar, Shayesteh Irani