»OBSESSION«

Deutsches Dreieck

Heike Makatsch im Dreieck

Ein französischer Langstreckenläufer und Mediziner, jüdische Schneider und Puppenbauer, ein weißer Steinmetz aus Simbabwe und eine Trompeterin, die auch die Orgel spielt und aus der Hüfte fotografiert, eine entscheidungsunwillige Frau zwischen zwei Männern und ein Kleptomane im KaDeWe, der die Geschichte ins Rollen bringt: immerhin sind Peter Sehr eine Reihe mehr oder weniger origineller Motive für seinen Kaspar-Hauser -Nachfolger Obsession eingefallen. Aber der Film sieht so aus, als sei er trotz der für deutsche Verhältnisse recht opulenten Produktionskosten von sieben Millionen Mark etwas zu umfangreich gedacht."
Miriam (Heike Makatsch) liebt Pierre. Dann trifft sie John (Daniel Craig), der auf der Suche nach einem Filmschnipsel ist, der einen Hochseilläufer bei der Überquerung der Niagarafälle zeigt. John vermutet, daß seine Familiengeschichte mit diesem Hochseilläufer verbunden ist, womit er recht hat, wie sich später aufs Schlichteste und Vorhersehbarste zeigt. Jedenfalls verliebt sich Miriam in John, will aber nicht mit ihm schlafen, was bei John für einen mittleren Hormonstau sorgt. Sie wird schwanger (von Pierre, mit John is ja nich), hat eine Fehlgeburt und wird etwas neurotisch, was an und für sich kein Wunder ist, in diesem Fall aber schnell mit einem Umzug nach Frankreich kuriert wird, wo Pierre seine Studien (irgendwas mit Zellenwiederbelebung: "Der Tod ist mir noch was schuldig!" fortsetzt. Und weil Miriam so ganz ohne John auch nicht kann, schickt sie ihm ein Foto, auf dem eine Weggabelung mit einem Schild zu sehen ist: Paris 277km. Und John setzt sich ins Auto ...
Trotz des ausgesprochen schlecht gearbeiteten Drehbuchs hat Obsession zwei Qualitäten: Da sind einmal die Bilder von Kameramann David Watkin, der mit Richard Lester angefangen hat und nach zwei Nominierungen ( Catch 22 , Chariots of Fire ) einen Oscar für Out of Africa gewann. Dafür knallt die zweite "deutsche Krankheit" voll rein: die schlechte Synchronisation. Wir haben Sprechrollen in drei Muttersprachen, die in der Kinofassung offensichtlich alle eingedeutscht wurden, was sich ziemlich eigenartig anhört.
Die zweite Qualität sind die Nebenrollen, die - im Gegensatz zu den Hauptfiguren - sehr liebevoll und warmherzig geschrieben sind und dazu noch erstklassig besetzt. Seymour Cassel und Allen Garfield spielen ein jüdisches Geschwisterpaar, mit jiddischem Witz und Hintersinn; schön. Und sogar die Band, in der Miriam Trompete spielt, hat mehr Leben und Leidenschaft als die ganze Dreiecksgeschichte zusammen. Denn immer wenn Miriam und ihre beiden Lover auftauchen, wird's grüblerisch, feiern Trübsinn und schlechte Laune fröhliche Auferstehung. Dann kommt es einem vor, als hätte sich Peter Sehr mehr an Margarete von Trottas grauenhaftem Heller Wahn orientiert als an den wirklichen Mehrecks-Klassikern Jules et Jim oder Pourquoi pas! .

Georg Steller