Nymphomaniac (1 & 2) Lotterbett und Bach-Kantaten Lars von Triers als Provokation gemeinter Porno ist eher ermüdend Lars von Trier liebt es, Aufmerksamkeit zu erregen. Meist durch provokante Werke, gerne aber auch durch grelle Interviewaussagen und ebenso grelle Selbstinszenierungen. So folgte dem Eklat von Cannes 2011 ein Schweigegelübde gegenüber der Presse, das er 2013 umging, als er tröpfchenweise durchsickern ließ, dass sein nächster Film ein Pornodrama über eine Nymphomanin mit "echtem Sex" sei und er damit ein neues Genre begründen werde. Kritiker und Fans wälzten sich im Glück. Die geschickte Werbekampagne schürte die Erwartungen durch ein kunstvoll arrangiertes Gruppenbild mit Trier und den Schauspielern in eindeutigen Posen. Dann tauchten Poster mit den in sexueller Ekstase verzerrten Gesichtern der Darsteller auf. Fast fünf Stunden dauert Nymphomaniac. Das überfordert selbst den gutwilligsten Fan, weshalb der Film in zwei (entschärften) Teilen in die Kinos kommt. An einem Winterabend findet der alleinlebende Büchernarr Seligman (Stellan Skarsgård) in einer Seitengasse die übel zusammengeschlagene Joe (Charlotte Gainsbourg). Da sie nicht ins Krankenhaus will, nimmt er sie mit zu sich nach Hause und pflegt sie. Dort erzählt sie ihm auf sein Nachfragen hin ihre nymphomanische Lebensgeschichte in acht Kapiteln. Nach ihrer eher beiläufigen Entjungferung folgt eine Phase pubertären Austestens mit zahllosen Liebhabern, die koordiniert werden müssen. Sie geht eine Beziehung mit ihrem "Ersten" Jerôme (Shia LaBeouf) ein, findet darin aber keine Erfüllung. Ihrer zwanghafte Suche nach Lust und Befriedigung lässt Joe immer extremere sexuelle Experimente eingehen, was sie ihre Beziehung kostet und sie in die Kriminalität führt. Den gelehrten Seligman fasziniert Joes zügelloses Treiben. Er zieht Parallelen zu Kunst und Religion. Es gibt eine brillante Szene, die treffend beschreibt, um was es in dem Porno-Epos geht. In der Mitte des zweiten Teils steht Joe in einem leeren Theater und besteht gegenüber einer Therapiegruppe beharrlich darauf, dass sie eine Nymphomanin und keinesfalls eine bloße Sexsüchtige sei. Dabei schaut sie herausfordernd in die Runde, um die Reaktionen auf das Gesagte zu beobachten. Es geht also wie meistens bei Trier um Provokation, Sex, Kunst, eine im Niedergang befindliche Frau und nicht zuletzt den Filmemacher selbst. Trier hat mit Nymphomaniac eine große, gut besetzte, teils virtuose, selbstreferentielle aber auch kalte Versuchsanordnung geschaffen, in der Gelehrsamkeit und Sinnlichkeit über Liebe und Sex diskutieren. Anspielungen, Zitate und Verweise überall. Fliegenfischen, Bach und das Kirchenschisma von 1054, das hat alles irgendwie mit Joe zu tun. Gefilmt wurde zumeist im "Dogma"-Stil mit wackeliger Handkamera. Die diversen Sexszenen und -praktiken wirken dokumentarisch, sind meist sehr unsexy, roh und unappetitlich. Die Freudlosigkeit von Joes sexuellen Projekten wird treffend eingefangen. Ab und an bricht Trier den kargen Stil auf und lässt Formeln und Grafiken erscheinen. Leider zieht sich das auch in zwei Teilen ganz schön und lässt einen ziemlich kalt, da der Film zu diskursiv und angestrengt um Virtuosität bemüht ist, sich letztlich zu ernst nimmt. Selten gelingen Trier Szenen mit jenem schwarzen Humor, der seine frühen Werke auszeichnete. Die Beste hat die großartige Uma Thurman als betrogene Gattin. Als ihr Mann sie für Joe verlässt, folgt sie ihm samt ihrer drei kleinen Söhne zur Wohnung der Geliebten, um ihnen das Hurenbett zu zeigen. Olaf Kieser Dän./B/F/D/GB 2013 R & B: Lars von Trier K: Manuel Alberto Claro D: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Stacy Martin, Shia LaBeouf, Christian Slater, Uma Thurman, Connie Nielsen, Willem Dafoe, 118 Min / 145 Min (uncut) (Vol.1), 123 Min (Vol.2)
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