LA NANA - DIE PERLE Geschichte einer Dienerin Was als Satire beginnt, verwandelt sich in eine kluge Sozialstudie über Herrschaft und Psyche Seit 23 Jahren lebt Raquel als Dienstmädchen im Haushalt einer wohlhabenden Familie in Santiago de Chile. Jeden Morgen steht sie als erste auf, schlüpft in ihre schwarze Uniform, weckt die Kinder, macht ihnen Frühstück und schickt sie in die Schule, bevor sie den Eltern den Kaffee ans Bett bringt. Raquels Leben ist eine einzige riesengroße Routine. Die Küche ist ihr Reich und die spärlich eingerichtete Schlafkammer der einzige Rückzugsort. An den Tisch der Familie wird sie nur an ihrem Geburtstag gebeten und hält es dort nicht lange aus. Denn obwohl sie auf engem Raum zusammen leben, Raquel die Kinder mit groß gezogen hat, die Arbeitgeber um Herzlichkeit bemüht sind, gehört sie nicht wirklich dazu. In ihrer Schattenexistenz, die sie seit dem 18.Lebensjahr führt, ist Raquel zunehmend verbiestert. Mit stierem Blick und herab fallenden Mundwinkeln zieht sie mit dem Staubsauger in der Hand in den täglichen Krieg gegen den Schmutz der Anderen. Migräneattacken plagen sie. Der Tablettenverbrauch ist enorm. Als Raquel auf der Treppe ohnmächtig wird, beschließt ihre Arbeitgeberin Pilar ein zweites Dienstmädchen anzustellen, um die kriselnde Haushälterin zu entlasten. Natürlich empfindet Raquel die personelle Entlastung als Bedrohung und sie verteidigt ihr Reich mit ausgefeilter psychologischer Kriegsführung. Das peruanische Aupair-Mädchen hat sie schon nach wenigen Tagen vergrault. So ein junges Ding isst Raquel zum Frühstück. Jedoch auch die erfahrene Hauswirtschafterin, die die Schwiegermutter ins Feld schickt, gibt nach kurzer Zeit auf. Aber dann kommt Lucy, und Lucy ist ganz anders als ihre Vorgängerinnen. Als Raquel sie aussperrt, legt sie sich im Garten einfach nackt in die Sonne. Lucy strahlt eine persönliche Freiheit und menschliche Wärme aus, wie sie Raquel noch nie erlebt hat. "Was haben sie nur mit dir gemacht?" sagt sie zu ihr, als die verbiesterte Haushälterin auf sie losgehen will, und nimmt sie einfach in den Arm. Vollkommen kitschfrei inszeniert der chilenische Regisseur Sebastián Silva diesen Moment der Erweckung aus der inneren Erstarrung. Hatte man am Anfang noch das Gefühl, dass die durchaus satirische Darstellung des unterdrückten Hausdrachens in ein Sozialrache-Szenario abgleiten würde, nimmt der Film im letzten Drittel eine vollkommen andere Richtung und setzt eine ungeheure Zärtlichkeit gegenüber der Figur frei, die am Anfang fast wie eine Karikatur erschien. Ohne klassenkämpferische Attitüden, aber mit feiner Beobachtungsgabe zeigt Silva die Beziehung der einzelnen Familienmitglieder zur Hausangestellten und die sozialen Gräben, die von noch so viel guten Willen nicht übersprungen werden können. Silva hat den Film im eigenen Elternhaus gedreht. Er kennt das Milieu der chilenischen Oberschicht, in der das Dienstmädchen im Haus zum Alltag gehört. Umso erstaunlicher, dass er seine Hauptfigur, die Catalina Saavedra genial verkörpert, nicht für eine Abrechnung mit der eigenen bürgerlichen Herkunft instrumentalisiert, sondern ein hoch differenziertes Psychogramm einer Frau zeichnet, die über zwanzig Jahre kein eigenes Leben hatte und sich plötzlich neu zu spüren beginnt. Martin Schwickert Chile 2009 R: Sebastián Silva B: Sebastián Silva, Pedro Peirano K: Sergio Armstrong D: Catalina Saavedra, Claudia Celedón, Mariana Loyola
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